Ricky Gervais und die Radikale Aufrichtigkeit

Ricky Gervais Reden bei den Golden Globes sind legendär. Anfang Januar fegte er zum fünften Mal wie ein Wirbelwind mit verbalen Spitzen durch die Filmbranche. Pointiert mit einem Timing wie Ginger Baker rasten seine Statements mit wuchtiger Offenheit über die Grenze des Wohlfühlens hinaus. Das Publikum ist das „Who is Who“ von Hollywood. Leonardo Di Caprio, Tom Hanks oder Robert di Niro und auch die neuen Player der Branche, der Chief Content Officer von Netflix Ted Sarandos oder Tim Cook von Apple hoffen, dass ihre Namen nicht aus dem Munde von Ricky Gervais kommen.

Kostprobe?

Jeffrey Epstein, der verurteilte Sexualstraftäter, habe sich nicht umgebracht. Das Publikum der Multimillionäre stöhnt auf und Ricky Gervais legt nach: „Shut up, I know he’s your friend.“

Über die Apple+ Serie „Morning Show“ sagt Gervais: „A superb drama about the importance of dignity and doing the right thing” eine Pause, die Punchline wartet genau richtig „made by a company that runs sweatshops in China”.

Immer wieder betont er fast existentialistisch, es sei doch das letzte Mal, dass er die Golden Globes hoste, deshalb ist es doch eh egal, ich hau heute alles raus, was ich denke. Schonungslos zeigt er die Widersprüche der selbstgerechten Branche auf:
„So you say you’re ‘woke’, but the companies you work for, Apple, Amazon, Disney… If ISIS had a streaming service you wo  uld be calling your agents.”

Um sich schließlich der vorhersehbaren Heuchelei zu verwehren, legt er nach: „So if you do win an award tonight, don’t use it as a political platform to make a political speech. You’re in no position to lecture the public about anything, you know nothing about the real world. Most of you spent less time in school than Greta Thunberg. So, if you win, come up, accept your little award, thank your agent and your God and f— off. OK?”

In dem Podcast Full Disclosure with James O’Brien sagt Ricky Gervais: „The older I get, all I want to do is  be more honest and maybe braver and be realer. That is all I want to do.” Er thematisiert auch den Umgang mit Angriffen über Social Media. Früher hat er solche Angriffe mit Ironie beantwortet oder sich über Tweets lustig gemacht, heute: „I reply in good faith. Being honest is a much stronger response.” 

Offenheit und Ehrlichkeit ist die Superpower, die sich nicht auf eine zweite ironische Ebene einlässt.

Das erinnert mich an eine Komponente des Feedback Konzepts der Radikalen Aufrichtigkeit (Radical Candor) , das ich vor einigen Jahren in einem Workshop aufschnappte. Ehrlichkeit gepaart mit der Fähigkeit der Konfrontation und dem Wunsch, Menschen weiterzubringen als Superpower einer möglichen persönlichen Disruption .

Radikale Aufrichtigkeit ist ganz im Sinne der Psychologischen Sicherheit. Wenn ich weiß, dass meine Kollegen mir gegenüber ehrlich und offen sind, ohne eine versteckte Agenda zu haben oder verletzend sein zu wollen, muss ich bei Feedback nicht zwischen den Zeilen lesen oder Annahmen machen. Klarheit und Ehrlichkeit als Motor des Lernens.

Wenn man einmal reflektiert, sind es ja auch die Feedbacks, die in dem Moment, wenn man sie hört, leicht weh taten und erstmal Orientierungslosigkeit ausgelöst haben, einen weiterbringen. Nicht die Bestätigung des eigenen Selbstbildes ist der Antrieb, sondern das Bizzeln, das der Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdbild verursacht.

Nähere Ausführungen zur  Radikalen Aufrichtigkeit  finden Sie bei My-Skills.