Kristina Loncar hat im Rahmen eines dualen Studiums bei der Siemens AG ihr Magisterstudium in Management Business Development abgeschlossen. Dabei konnte sie miterleben, wie rasant sich die Weiterbildung im Unternehmen durch die digitale Transformation ändert. Der Trend geht in Richtung Virtualisierung und Individualisierung der Weiterbildungsangebote.
Vor dem Hintergrund der neuen Arbeitskultur New Work/Next Work und dem lebenslangen Lernen ist die Grundvoraussetzung für die Vermittlung neuen Wissens und neuer Kompetenzen eine Optimierung der Lernprozesse in der betrieblichen Weiterbildung. Für ihrer Magisterarbeit hat sie die Virtualisierung von verhaltensorientierten Führungskräftetrainings begleitet.
Welche Fragestellungen bist du in deiner Masterarbeit konkret nachgekommen?
Leitend für meine Arbeit waren unter anderen zwei Fragestellungen:
- Wie sieht das Lernkonzept eines virtuellen verhaltensorientierten Führungskräftetrainings aus der konstruktivistischen Perspektive bei der Siemens AG aus?
- Welches Verhalten kann online trainiert bzw. umgesetzt werden und wie?
Betrachten wir die erste Fragestellung, was meint hier konstruktivistische Perspektive?
Die Lernenden konstruieren und erfinden ihre Wirklichkeit in der Interaktion mit anderen durch Ausprobieren und Selbstreflexion. Die Voraussetzung von gelingendem Lernen ist, dass sie offen an ihre Wirklichkeit herangehen und die Fähigkeit haben, diese zu hinterfragen und nicht als einzig geltende Wahrheit sehen. Dann können neue Einstellungen und Handlungskompetenzen aufgebaut werden.
Wie wurde diese konstruktivistische Perspektive bei dem Design von verhaltensorientierten Führungskräftetrainings genutzt?
Da die Lernenden ihre Wirklichkeit konstruieren, wollten wir so nah wie möglich die Lernsituationen an ihren realen Herausforderungen in ihrem Arbeitsleben ausrichten. So haben wir Situationen identifiziert, mit denen Führungskräfte häufig konfrontiert sind. Beispielsweise haben wir eine Situation beschrieben, in denen die Leistung eines Mitarbeiters signifikant schlechter geworden ist. Um die Echtheit der Situation zu stärken, haben wir Schauspieler eingesetzt, die den Mitarbeiter gespielt haben.
Darüber hinaus haben wir den kommunikativen Austausch in Gruppen im Lerndesign verankert. Damit wird die Selbsterarbeitung der Lerninhalte und auch die eigene Konstruktion von Wissen und Können der Lernenden unterstützt.
Wie bist du deiner zweiten Fragestellung, welches Verhalten online trainiert werden kann, nachgekommen?
Wir haben drei Kriterien aus dem Führungsleitbild näher analysiert: Respekt, Motivieren und Inspirieren sowie Empowerment und Vertrauen. Diese Kriterien haben wir in Verhaltensanker übersetzt und daraus Beobachtungsbogen erstellt. Ein Verhaltensanker bei dem Kriterium Respekt zum Beispiel ist „Honest and transparent about the good and the bad and addresses it“.
Nun haben wir die Kriterien in Rollenspielen eingeübt, d. h. Lernende haben die Möglichkeit im Ausprobieren ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Anschließend haben wir hierzu Selbsteinschätzungen der Führungskräfte sowie Fremdeinschätzungen von Feedbackgeberinnen und Feedbackgeber eingeholt und mit Hilfe des 4-Ebenen Modell von Kirkpatrick evaluiert.
Welche Ergebnisse hast du gefunden?
Die Auswertung zeigt, dass Verhaltensweisen, die der Kompetenz Respekt einzuordnen sind, am erfolgreichsten in der Praxis umgesetzt wurden. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden haben dabei eine hohe Ausprägung gezeigt. Die Verhaltensweisen in Bezug auf Respekt können bewusster gesteuert werden und der Effekt auf das positive oder negative Verhalten ist unmittelbar zu beobachten.
Bei der Umsetzung der Verhaltensweisen die der Kompetenz Motivieren und Inspirieren zuzuordnen sind, hat die Hälfte der Teilnehmenden eine moderate Ausprägung gezeigt. Diese Verhaltensweisen werden sehr individuell in der Praxis umgesetzt und entsprechend auch wahrgenommen.
Die geringste Ausprägung der Verhaltensanker wurde bei der der Kompetenz Empowerment und Vertrauen beobachtet. Bei weniger als der Hälfte der Teilnehmenden fehlten wesentliche Elemente. Empowerment und Vertrauen erfordern sozioemotionale Prozesse, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Diese sind ebenso stark durch die individuellen Lebenserfahrungen der Teilnehmenden geprägt. Ein Vertrauensaufbau findet grundsätzlich durch eine direkte persönliche Interaktion statt. Somit ist durch eine rein virtuelle Kommunikation der Vertrauensaufbau erschwert.
Du beschreibst in deiner Arbeit die veränderte Rolle von Lehrenden bzw. Learning Specialists. Im Fokus stehe nicht mehr die Vermittlung der Lerninhalte. Wie sehen hier die Veränderungen aus?
Die klassische Rolle, dass Lehrende lediglich Wissen vortragen, wird es so nicht mehr geben. Vielmehr müssen die Lehrenden viel stärker moderieren und unterschiedlichste Rollen einnehmen. Sie müssen Lernziele setzen, Lernfelder und Umfeld verstehen, coachen und gleichzeitig mehr wissen.
Konstruktivistisch argumentiert müssen die Lehrenden Lernumgebungen so gestalten, dass die Lernenden eigenständig das Wissen bzw. die neuen Verhaltensweisen konstruktivistisch erarbeiten können. Eine reine Wissensvermittlung wäre in dieser Terminologie lediglich eine Rekonstruktion.
Was empfiehlst du denen, die verhaltensorientierte Führungskräftetrainings virtualisieren möchten?
Auf Basis der Literatur und der gewonnenen Erkenntnisse wurden folgende Verbesserungsmöglichkeiten für virtuelle verhaltensorientierte Führungskräftetrainings erarbeitet:
Das virtuelle Format hat neben vielen Möglichkeiten wie digitale Interaktion, Flexibilität und Zeitersparnis auch einige Einschränkungen, vor allem in Bezug auf den Beziehungsaufbau, der für die Entwicklung sozialer Kompetenzen von großer Bedeutung ist.
Um ein ganzheitliches Lernerfolg zu gewährleisten, sollte für das virtuelle verhaltensorientierte Training ein hybrides Konzept in Betracht gezogen werden. So würde man die Vorteile des Virtuellen und des Präsenten optimal verbinden. Blended Learning oder integriertes Lernen ermöglicht den Mix verschiedener Lernformen und -methoden, um den individuellen Bedürfnissen der Lernenden gerecht zu werden und erhöht die Akzeptanz des Einsatzes neuer Medien.
Herzlichen Dank für das Interview, Kristina