Ich habe in einem LEGO® Serious Play® (LSP) Schnupperworkshop mit Antonia Jennewein erlebt, dass das moderierte Bauen mit LEGO sehr schnell sehr tief gehen kann. Wir haben uns im Workshop unter anderem mit unserer größten Herausforderung, Führung, und unserer Zukunftsvision spielerisch und zugleich ernsthaft auseinandergesetzt. Das Bauen mit LEGO ist dabei ein Katalysator, der die Auseinandersetzung mit einem Thema anregt, vertieft, und neue Erkenntnisse ermöglicht. Was bei mir einen besonders starken Eindruck hinterlassen hat, ist die Erfahrung, dass die Hände zunächst „klüger“ sein können als der Kopf. Wenn man noch gar keine Ahnung hat, wie eine Lösung aussieht, dann fängt man erst einmal an zu bauen. Und dann ergibt sich ein Sinn. Fast wie Magie! Ich habe gleich im Anschluss an den Workshop vorgeschlagen, ein Interview zu machen.
Ich spreche mit Antonia Jennewein, Wirtschaftsmediatorin, Coach und certified LEGO® Serious Play® Facilitator.
Wie bist auf das das Thema LSP gekommen?
Ein Bekannter von mir, der in den Bereichen Innovation und Design Thinking unterwegs ist, hatte LEGO® Serious Play® schon einige Jahre angewendet. Ich habe lange damit geliebäugelt und wollte es selbst lernen. Ich habe mit Robert Rasmussen gesprochen und und mit ihm besprochen, inwieweit sich die Methode für Konfliktlösungen eignet. Er bestätigte mich darin, dass LSP da hilfreich sein kann. Der Fokus meiner Tätigkeit liegt auf innerbetrieblichen Konflikten.
Wie läuft das mit der Zertifizierung ab?
Robert Rasmussen ist Mitbegründer der “Association of Master Trainers in the LEGO® Serious Play® Method”. Es gibt einen kleinen Kreis von Master Trainern, die über die ganze Welt verteilt sind, und ich empfehle, für die Zertifizierung über die Association zu gehen. Die Ausbildung geht über 4 intensive Tage, in denen man auch einen eigenen Workshop konzipiert. Die Zertifizierung besteht darüber hinaus ganz viel aus Learning by Doing. Man baut ganz viel in dieser Zeit.
Was passiert in einem LSP Workshop?
Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt auf die Zielstellung des Auftraggebers an. Am Anfang gibt es immer eine Warm-up-Phase. Das ist das, was wir im Schnupperworkshop gemacht haben. Ich führe die Teilnehmer an das Material heran und an die Art und Weise, wie Storytelling funktioniert. Wir bauen eine Geschichte, wir bauen eine Metapher. Das kann nicht jeder auf Anhieb und in der Warm-up-Phase zeigen wir, wie das Prinzip Storytelling funktioniert.
Im Schnupperworkshop haben wir erstmal die Grundlagen gelernt.
Richtig. Es gibt einige Regeln, die für alle Fragestellungen anzuwenden sind. Wir bauen etwas. Wir teilen etwas. Wir tauschen uns darüber aus. Im Warm-up geht es darum, wie ich überhaupt etwas visualisieren kann. Ich baue nicht zum Beispiel ein Haus, sondern ich baue eine Metapher. Meistens gibt es da schon einen Bezug zum eigentlichen Thema, das bearbeitet werden soll. Nach der Warm-up-Phase gehen wir in die verschiedenen Applikationen, die für die Fragestellung des Teams oder der Organisation hilfreich sind.
Was ist eine Applikation?
Eine Applikation ist eine Herangehensweise an das Bauen. Ich kann individuell bauen lassen, ich kann ein gemeinsames Modell bauen lassen, ich kann eine Landschaft bauen, ich kann ein System bauen. Es gibt je nach Problemstellung oder Themen unterschiedliche Abstufungen. Für manche reicht eine individuelle Sicht, für andere brauche ich größere Systeme. Die Applikationen sind standardisiert. Welche Applikationen zum Einsatz kommen, wähle ich aus. Im Briefing mit dem Kunden frage ich sehr genau, was die Problemstellung ist und was der Kunde erreichen will. Dann wähle ich die passenden Applikationen aus und wie der Ablauf gestaltet wird.
Ich kann mit LSP das volle Potenzial am Tisch nutzen, um aus den vielen Möglichkeiten eine gemeinsame Antwort herauszufinden.
Welche Aufgabenstellungen eignen sich zur Bearbeitung mit LSP?
Zur Bearbeitung eignet sich alles, was nicht digital, also schwarz/weiß beantwortet werden kann, z.B. komplexe Situationen oder Herausforderungen. Denn dann kann ich mit LSP das volle Potenzial am Tisch nutzen, um aus den vielen Möglichkeiten eine gemeinsame Antwort herauszufinden. LSP eignet sich auch in Konstellationen, in denen Menschen sonst gehemmt sind, sich auszudrücken, beispielsweise weil sie sich in einer Hierarchie nicht berechtigt fühlen, ihre Sichtweise zu äußern. Ich kann LSP also nutzen, um Hierarchien auszuschalten, weil alle das gleiche machen: Alle haben die gleiche Aufgabe, alle haben den gleichen Redeanteil. Ich kann also alle verschiedenen Perspektiven am Tisch nutzen, vom Azubi bis zum Vorstandsmitglied.
Die Methode hilft, Dinge zu thematisieren, die wir gar nicht präsent haben. Dadurch gewinnen Teilnehmer erstaunliche und neue Erkenntnisse.
Die Führungskräfte können auf diesem Weg sehr viel von und über ihre Mitarbeiter lernen. Wie beschreibst du, wie LSP wirkt? Woher kommt die Veränderungskraft, die Power?
LSP wurzelt in wissenschaftlichen Erkenntnissen des Konstruktionismus und Konstruktivismus. LSP ist also nicht einfach eine gute Idee, sondern wissenschaftlich fundiert. Wie funktioniert Lernen? Wie funktioniert unser Gehirn? Wie funktioniert die Hand-Gehirn-Verbindung? Daher kommt ein großer Teil der Wirkung.
Ein anderer Teil der Wirkung kommt daher, dass das Bauen mit LEGO eine sehr geringe Hemmschwelle hat. Ich könnte ja auch sagen, wir malen jetzt etwas auf Papier. Da wäre die Hemmschwelle deutlich höher. Wir haben also einen sehr leichten Zugang. Und die Realisierung in 3D trägt dazu bei, die Kreationen zu verstehen. Die Methode hilft, Dinge zu thematisieren, die wir gar nicht präsent haben. Dadurch gewinnen Teilnehmer erstaunliche und neue Erkenntnisse.
Du sagtest, die Hemmschwelle ist niedrig, und das kann ich aus meiner Sicht bestätigen: Sobald da irgendwelche LEGO-Steinchen rumliegen, will ich schon etwas damit machen. Was sind Voraussetzungen für einen gelungenen LSP Workshop?
Es gibt eine klare Workshop-Etikette, die da anzuwenden ist. LSP funktioniert nicht, wenn Leute ständig rein- und rausgehen, weil die Methode ja gerade darauf aufbaut, dass alle bauen und alle teilen. Also müssen auch alle zuhören. Auch die Technik lenkt ab und stört die Hand-Gehirn-Verbindung. Daher erlaube ich keine Technik auf dem Tisch, am besten noch nicht mal in der Pause. Das sind nur einige Beispiele.
Was war ein skurrilles LSP Erlebnis?
In meinem allerersten Workshop gab es einen Teilnehmer, der mit dem Material nichts anfangen konnte. Es gibt Skeptiker, und manche sind auch überrascht, weil sie vorher nicht wissen, was im Workshop gemacht wird. Dieser eine Teilnehmer hat aber das Mitbauen komplett verweigert. Normalerweise hätte ich den rausschicken müssen, das habe ich aber zu dem Zeitpunkt durchgehen lassen – zu meinem Glück. In der Feedbackrunde hat er sich mitgeteilt: Er hat noch nie mit LEGO gebaut, schon als Kind konnte er damit nichts anfangen. Deshalb hat er nicht mitgebaut. Er war jedoch begeistert darüber, was diese Methode hervorbringt. Was da bebaut und geteilt wurde, fand er sensationell. Er konnte aus seiner Beobachterperspektive ein sehr positives Feedback zur Methode geben, obwohl er selbst nicht viel damit anfangen konnte.
Und was war ein besonders schönes LSP Erlebnis?
Schön ist es, wenn ein Team ein gemeinsames Modell von ihrer Zukunft gebaut haben, sei es, was die Zusammenarbeit betrifft, oder wo sie als Team in 2 Jahren sein wollen. Diese Geschichte müssen die Teilnehmer im Workshop mehrfach erzählen, bis sie wirklich rund ist. Und wenn dann der Punkt kommt, wo die Geschichte so ist, dass jeder sie erzählen kann, und das auf Video gebannt ist, das ist faszinierend! Dann wird applaudiert, und alle sind begeistert. Die Workshops kommen durchgehend gut an, deshalb arbeite ich mit dieser Methode so gerne.
Das finde ich hochinteressant. Damit schafft man eine echte gemeinsame Basis. Nicht aufgrund abstrakter Visionen oder Strategien von oben, sondern aufgrund gemeinsam erarbeiteter Ergebnisse. Dann werden auch alle mitziehen und mitwirken wollen.
Genau, und das gibt dieser Methode diese Power. Das Zukunftsbild kann nur gemeinsam entwickelt werden, und damit entsteht Commitment. Weil die eigenen Vorstellungen in dem gebauten Modell vorkommen, von jedem einzelnen.
Ganz besonders ist es, wenn ich LSP in der Mediation, also in der Lösung von Konflikten, benutze. Da hatte ich auch mal ein schönes Erlebnis, als ich zwischen zwei Kontrahenten über das Bauen eines Turms einen Perspektivwechsel ermöglicht habe. Am Ende fiel der Satz: „Ich wusste gar nicht, dass du das so siehst“. Dieser Satz in Verbindung mit dem Thema hat unheimlich viel bewirken können, und hat dazu beigetragen, dass die Beteiligten für sich eine Lösung gefunden haben. Und heute arbeiten sie immer noch zusammen. Das macht mich stolz.
Es ist faszinierend, was möglich ist, wenn wir präsent sind und zusammen eine Fragestellung angehen. LSP schafft einen Raum von Möglichkeiten. Und ist übrigens absolut undigitalisierbar. Herzlichen Dank für das Interview, Antonia!