Ausgerechnet die Learning Professionals lernen zu wenig?

Lernprojekt

Das hat mich überrascht: Die Learning Professionals lernen zu wenig. Dies sagt und schreibt Karlheinz Pape. Doch worum geht es eigentlich?

Die Initiative #MeinZiel2022 der CLC

MeinZiel22 war eine Initiative der Corporate Learning Community (CLC), die von Januar bis Mai 2022 lief und an der ich mich beteiligt habe. Die Idee der Initiative ist es, sich ein individuelles Lernziel zu definieren (mit der Methode OKR), dieses Ziel öffentlich zu machen (Padlet, Blog-Kommentar) und dann über einen Zeitraum von einigen Wochen oder Monaten in einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter an dem eigenen Lernziel zu arbeiten.

Karlheinz Pape von der CLC hat kürzlich einen Blogpost veröffentlicht mit einer provokanten Frage im Titel: #MeinZiel 22: Selbstgesteuertes Lernen ist nichts für uns Learning Professionals? In diesem Beitrag eingebettet bzw. nach Youtube verlinkt findest du auch den Vortrag von Karlheinz zum Ergebnis des CLC-Projektes #MeinZiel22 im Rahmen des Workshops „New Work Future Workplaces“ am 29. September 2022.

Learning Professionals lernen zu wenig

Zusammengefasst sind Aussagen von Karlheinz Pape:

Die Initiative #MeinZiel22 wurde auch deshalb ins Leben gerufen, weil wir als Learning Professionals selbst viel lernen müssen:

„Wir müssen unglaublich viel an uns selber arbeiten, um andere irgendwo hinführen zu können.“

Karlheinz Pape

Als Lernformat wurde das Peer-Learning gewählt, also das Lernen in kleinen Gruppen, mit einem verbindenden Thema (jedoch möglicherweise unterschiedlichen individuellen Lernzielen). Warum? Gemeinsam lernt sich’s leichter. Und die Verbindlichkeit und Motivation ist höher, wenn man mit anderen zusammen lernt. Hinzu kommt der Aspekt des öffentlichen Lernens. Das öffentliche Ziel-Bekenntnis „erzeugt hilfreichen sozialen Druck“ (KH Pape).

Aus der CLC haben sich 260 Personen angemeldet. Das ist weniger als bei anderen Initiativen der CLC, bei denen es um das Lernen „der anderen“ geht. 81 von den angemeldeten Personen haben ihre Ziele veröffentlicht. Und nur 19 haben ihre Ergebnisse öffentlich geteilt.

Die Schlussfolgerungen von Karlheinz lauten sinngemäß:

  • Wir Learning Professionals tun uns damit schwer, uns selbst weiter zu entwickeln. An uns legen wir andere Maßstäbe an. Wir müssen aber diejenigen sein, die mehr lernen als andere.
  • Öffentliches Teilen (Learning in Public) fällt vielen schwer. Öffentliches Teilen ist aber ein Lernbooster. Wer Erkenntnisse öffentlich teilt, denkt dreimal länger nach, und dieses Nachdenken ist Lernzeit.

Karlheinz haut uns die berichteten Zahlen nicht um die Ohren, um Learning Professionals bloßzustellen – er möchte erkennbar aufrütteln. Was mich betrifft, ist das gelungen. Die Beiträge haben mich nachdenklich gemacht. Wenn ich höre, dass nur 19 Beteiligte ihre Lernerfahrung veröffentlicht haben, dann überraschend mich das. Ich bin einer von 19? Allein aus meinem Lern-Circle hatten 4 der Lernenden ihre Erfahrungen veröffentlicht.

Ich möchte das relativieren

Wenn wir uns die nackten Zahlen ansehen, dann muss ich wohl zustimmen: 260 Anmeldungen, 81 mal Ziele veröffentlicht, 19 mal Erfahrungen und Ergebnisse veröffentlicht. 🤔 Es wird zu wenig gelernt. Es wird zu wenig öffentlich gelernt.

Illustration von Gerald Petersen, kreiert mit Dream

Dennoch möchte ich den Eindruck, Learning Professionals kümmerten sich gerne um das Lernen der anderen, aber nicht genug um das eigenen Lernen, hier etwas relativieren:

1. Ich denke, die Lage ist nicht so schlimm wie sie aussieht. Es ist bestimmt mehr passiert als wir anhand der Zahlen sehen. Das vermute ich, wissen kann ich es nicht. Auch Karlheinz Pape sagt, es können mehr sein, die ihr Lernprojekt abgeschlossen haben, ohne dass wir davon wissen.

2. Es könnte eine Rolle spielen, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine einige Pläne durchkreuzt hat oder andere Prioritäten in den Vordergrund gerückt hat. Vielleicht wären sonst mehr am Ball geblieben.

3. Die Learning Professionals, die ich kenne, lernen viel und sind oft innovativ, was das Lernen betrifft. Nicht alles Lernen ist aber organisiertes Lernen, und damit so gut wie unsichtbar.

4. Ich denke nicht, dass Learning Professionals ganz anders (weniger engagiert) sind, wenn es ums Lernen geht, als „die anderen“ Professionals. Im Gegenteil! In den Organisationen wird viel weniger gelernt, und viel weniger geteilt.

Auch wenn die Ergebnisse der Initiative #MeinZiel22 zu wünschen übrig lassen: Insgesamt gesehen, ist es nicht so überraschend. Es wird ganz generell in den Unternehmen wenig gelernt, und wenig öffentlich gelernt. Dazu zwei Zahlen:

  • Nach Aussage eines Learning Professional eines deutschen Unternehmens liegt die gemessene durchschnittliche Lernzeit pro Mitarbeiter pro Jahr bei unter einer Stunde. Pro Jahr! Leute, das ist nichts! (Wenn ihr mich fragt: Das fast ausschließliche E-Learning hat das Lernen kaputtgemacht – aber das ist ein anderes Thema).
  • 58% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen, sie behalten wertvolles Wissen für sich, das für ihre Kolleginnen und Kollegen nützlich sein kann (Kahoot Workplace Culture Report 2022). Da kann man sich vorstellen, wie es um das „öffentliche Lernen“ (Learning in Public) bestellt ist.

Learning Professionals könnten vielleicht noch mehr tun, aber sicher sind sie nicht schlechter aufgestellt als die überwiegende Mehrheit der Mitarbeitenden in den Unternehmen.

Ein Fazit

Es stimmt ja: Wir müssen viel lernen, mehr als andere. Unser Job hat sich disruptiv verändert, und ändert sich weiter. Wir müssen lernen, und wir wollen lernen. Ich kann nicht glauben, dass ich nur für eine Minderheit spreche. Ich lerne organisiert (Trainings, Konferenzen, BarCamps, Peer-Learning) und ich lerne ganz viel in der Arbeit und in der Praxis (Achtung, das ist kein Automatismus, sondern erfordert bewusstes Lernen, siehe Mythos: Agiles Lernen ergibt sich von selbst).

Wir Learning Professionals müssen beim Lernen selbst voran gehen. Insofern wäre es miserabel, wenn wir nur wenig lernen und damit ein schlechtes Vorbild abgeben. Aber ist das so? Learning Professionals lernen weniger als die „anderen“? Das glaube ich nicht.

In einem Blogbeitrag von Matthias Wiencke finde ich vieles, was beschreibt, wie Learning Professionals lernen: Wie lernen eigentlich Learning Professionals? Ein Selbstlernprozess.

Wie gesagt, es geht darum, aufzurütteln. Karlheinz Pape und die CLC glauben an das Lernen der Learning Professionals: Es wird eine nächste Runde #MeinZiel geben. Ich freue mich darauf!

Top Tools for Learning: Digitale Tools für das Lernen

Top Tools for Learning 2018

Top Tools for Learning

Top Tools for Learning ist eine Liste mit Tools, die von Jane Hart zusammengestellt wird (Liste, interaktive Infografiken). Sie macht jedes Jahr eine Befragung und wertet aus, welche digitalen Tools in irgendeiner Weise für Lernen verwendet werden. Sie hat 200 Tools kategorisiert und auf 3 Listen aufgeteilt (Überschneidungen sind möglich):

  • Top 100 Tools for Personal & Professional Learning (PPL100): Digitale Tools, die einzelne Lerner verwenden, um irgendwelche Dinge zu lernen – bei der Arbeit oder außerhalb der Arbeit.
  • Top 100 Tools for Workplace Learning (WPL100): Digitale Tools, die das Lernen in der Arbeit irgendwie unterstützen können.
  • Top 100 Tools for Education (EDU100): Digitale Tools, die von Lernenden und Lehrenden in Schule und Studium zur Unterstützung des Lernens verwendet werden können.

Vielleicht fällt Ihnen auf, dass ich Worte wie „in irgendeiner Weise“, „irgendwelche Dinge“ oder „irgendwie“ verwende. Das liegt daran, dass die Liste sehr umfassend ist und die Tools zum allergrößten Teil keineswegs spezifisch für das Lernen gedacht sind oder verwendet werden. Sehr viele Tools sind schlichtweg allgemein gebräuchliche Tools, die für alle möglichen Zwecke – unter anderen auch für Lernzwecke – verwendet werden können. Auf der Liste finden sich zum Beispiel Suchmaschinen wie Google, Office Software wie Word, Cloud-Speicher wie Dropbox, Geräte wie das iPhone, Kommunikations-Apps wie Zoom, Tools für Virtual Collaboration wie Trello undsoweiterundsofort. Plattformen oder Tools, die wirklich für die Unterstützung von Lernen kreiert wurden, wie Khan Academy oder Moodle, muss man mit der Lupe suchen. Und andere echte Learning Tools tauchen gar nicht erst auf.

Hinzu kommt, dass der Begriff „Lernen“ offensichtlich sehr allgemein verstanden wird (eine Definition wird nicht bereitgestellt). Der verwendete Begriff umfasst explizites wie auch implizites (unbewusstes) Lernen, Lernen innerhalb und ausserhalb der Arbeit, und es geht vorwiegend um Wissensvermittlung und Wissensaneignung. Das Erlernen von Soft Skills wird kaum berücksichtigt. Die Frage ist, wie aussagefähig und wie nützlich der Begriff des Lernens dann noch ist.

Der Nutzen dieser Aufstellung ist also eingeschränkt – je nachdem, was man sich davon erhofft.

Trends

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Einschränkungen, lassen sich einige Trends ablesen, was die Beliebtheit bestimmter Tools angeht:

  • Youtube ist immer noch die Nummer 1
  • Hör‘ mal: Audio-Quellen werden häufiger genutzt (Podcasts!)
  • Bücher werden nicht im Original, sondern vermehrt als Zusammenfassung gelesen (getAbstract, Blinkist)
  • Slideshare ist auf dem absteigenden Ast
  • Soziale Netze: Twitter ist immer noch stark, während Facebook abrutscht, und LinkedIn weiter an Bedeutung gewinnt
  • Content wird nach wie vor gerne mit Powerpoint präsentiert, aber zum Beispiel die Adobe Creative Cloud suite wird vermehrt für die Entwicklung von Content verwendet
  • Der Shooting Star der Liste ist Degreed, eine Plattform für lebenslanges Lernen
  • Anders Pink („Content Curation for Learning“) unterstreicht den Trend zu individualisiertem Lernen
  • Tools für virtuelle Zusammenarbeit können das soziale Lernen in der Arbeit unterstützen
  • Slack steigt auf, ebenso wie Microsoft Teams, während Yammer absteigt (vielleicht weil Teams aufsteigt)
  • Überhaupt: Microsoft is back! Das Microsoft Ökosystem wird richtig mächtig durch die Integrationsfähigkeit unterschiedlicher Anwendungen
  • Digitale Notizbücher sind bedeutsam als Erweiterung des eigenen Gehirns, und hier macht OneNote (ebenfalls von Microsoft) das Rennen
  • Videokonferenzing verdrängt Audiokonferenzing (auch weil man z.B. mit Skype oder Zoom den Bildschirm teilen kann)
  • Um ein wenig Interaktion mit großen Gruppen herzustellen, gewinnen „audience response tools“ an Beliebtheit (z.B. kann man mit Kahoot oder Mentimeter sehr einfach Polls durchführen)

Fazit

Eine reine Betrachtung der Beliebtheit von digitalen Tools ist in der Aussagefähigkeit sehr eingeschränkt. Es bleibt der Gesamteindruck, dass Lernen sich stärker individualisiert und digitalisiert. Damit ändert sich die Rolle von Learning & Development. L&D muss in Zukunft nicht nur Inhalte, Seminare und Curricula bereitstellen für die Lernenden, sondern auch in höherem Maße ein selbstgesteuertes Lernen ermöglichen. Dieser Trend ist nicht zu leugnen. Digitale Tools können jedoch nicht leisten, soziale Fähigkeiten zu vermitteln. Und es besteht ebenso kein Zweifel daran, dass soziale Fähigkeiten, Soft Skills, Lifetime Skills noch viel wichtiger sind und werden als früher. Wir müssen noch mehr darüber lernen, welche Methoden welches Lernen am besten unterstützen.

Neuere Ergebisse findest du im Beitrag Top Tools for Learning 2019: Digitale Tools für das Lernen.

Beitragsbild: © Jane Hart, mit Einverständnis