Sind Sie ein roter Typ, ein blauer Typ, oder ein grüner Typ? Hier geht es nicht um Parteien, sondern um Persönlichkeit. Viele Menschen haben bereits einen Persönlichkeitstest gemacht, und kennen ihren „Typ“. Persönlichkeitstests sind weit verbreitet, die meisten Unternehmen setzen sie ein, zum Beispiel zur Personalauswahl.
Zeit für einen Check. Schauen wir doch mal zusammen, was Persönlichkeitstests können wollen, welche Persönlichkeitstests es so gibt, und werfen einen Blick auf die wissenschaftliche Fundiertheit. Anschließend gebe ich Hinweise, was bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Persönlichkeitstests in Unternehmen zu beachten ist.
Ein Persönlichkeitstest – was ist das?
„Ein Persönlichkeitstest ist ein psychologisches Testverfahren zur Erfassung von dispositionellen Persönlichkeitseigenschaften“ (Wikipedia). Ok, und was bedeutet „dispositionell“? Eine Disposition ist eine Eigenschaft oder eine zeitlich überdauernde, charakteristische Verhaltensbereitschaft. Früher sagte man auch „Temperament“ oder „Charakter“. In der Persönlichkeitspsychologie geht es darum, wie ein Mensch sich immer wieder ähnlich verhält in vergleichbaren Situationen. Ein typisches und bekanntes Beispiel für eine Persönlichkeitseigenschaft ist die Dimension Extraversion vs. Introversion. Extravertierte Menschen verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders als introvertierte Menschen. Und das ändert sich nicht von heute auf morgen, sondern bleibt ein zeitlich stabiles Muster. In welcher Hinsicht sich Menschen unterscheiden, ist Gegenstand der differentiellen Psychologie.
Ich finde den Begriff „Persönlichkeitstest“ nicht so passend. Für die meisten Menschen signalisiert der Begriff „Test“, dass es um Leistung geht, oder um „richtig/falsch“. Es gibt in der Persönlichkeit aber keine Leistung oder ein richtig/falsch. Es gibt Unterschiede in der Persönlichkeit, und die sind zunächst wertfrei zu betrachten. Ich spreche daher lieber von „Persönlichkeitsinventar„, aber der Begriff „Persönlichkeitstest“ ist gebräuchlich.
Der Markt der Persönlichkeitstests
Wir sprechen hier über einen attraktiven Markt für Anbieter. Die Kosten der Instrumente bewegen sich in der Regel in dem Bereich 80 bis 150 Euro pro Person bzw. pro Anwendung. Wenn es einmal gelungen ist, ein Instrument erfolgreich am Markt zu platzieren, hat man quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. Weil der Markt attraktiv ist, ist er aber auch umkämpft. Viele der angebotenen Instrumente sind sich sehr ähnlich bzw. Varianten eines Grundmodells.
Zu den gebräuchlichsten Persönlichkeitstests gehören:
16Personalities | Anbieter | |
DISG | Anbieter | Wikipedia |
Golden Profiler of Personality (GPOP) | Wikipedia | |
Hermann Brain Dominance Instrument (HBDI) | Anbieter | Wikipedia |
Insights Discovery | Anbieter | |
Insights MDI | Anbieter | |
Master Person Analysis (MPA) | Anbieter | |
Myers-Briggs-Typen-Indikator (MBTI) | Anbieter | Wikipedia |
Predictive Index (PI) | Anbieter | Wikipedia |
Process Communication Model (PCM) | Anbieter | Wikipedia |
Struktogramm (Biostrukturanalyse) | Anbieter |
Einen noch umfassenderen Überblick mit jeweils mehr als 20 Persönlichkeitstests liefern die Seite „Große Liste der Persönlichkeitstests“ und der Beitrag „Persönlichkeitstest: Insights, MBTI, Big Five & Co. – der große Vergleich„.
Bei diesem Angebot stehen die Entscheider über die Anwendung von Persönlichkeitstests vor einer großen Herausforderung: Welches Tool soll ich einsetzen?
Beispiel für einen Persönlichkeitstest
Vom Myers-Briggs-Typen-Indikator (MBTI) gibt es mehrere Varianten, und daher kennzeichnet das Modell der „16 Persönlichkeiten“ wohl die Instrumenten-Gruppe mit der größten Verbreitung. Varianten des MBTI sind GPOP, 16Personalities, Jung Typology Test, und viele mehr. Teilweise sind Kurzformen dieser Tests auch kostenlos.
Mit dem MBTI werden 4 dichotome (zweigeteilte) Persönlichkeitsdimensionen erfasst, welche auf Carl Gustav Jung zurückgehen:
Aus diesen Persönlichkeitsdimensionen ergeben sich 16 mögliche Persönlichkeitstypen. Ein Testergebnis könnte z.B. sein „ISTJ“. Mit solch einer Buchstabenkombination wird dargestellt, wohin man in den 4 Dimensionen tendiert und welcher der 16 Persönlichkeitstypen vorliegt.
Warum sind Persönlichkeitstests bei Anwendern so beliebt?
Die „Persönlichkeit“ ist eine typische Erklärung für das eigene Verhalten und für das unterschiedliches Verhalten von Menschen. Persönlichkeitstests sind daher ausgesprochen beliebt, denn sie versprechen eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung über die Persönlichkeit. Ich sehe folgende Gründe für die Beliebtheit dieser Instrumente bei Anwendern:
Warum setzen Unternehmen Persönlichkeitstests ein?
Das Wissen um die individuelle Persönlichkeitsstruktur macht uns ein Stück weit berechenbar, und das ist interessant für Unternehmen. Ein typisches Anwendungsfeld für Persönlichkeitstests ist die Personalauswahl, insbesondere von Führungskräften. Man möchte die richtigen Leute auf die richtige Position bringen und „matcht“ ein Anforderungsprofil mit individuellen Persönlichkeitsprofilen. Sicher wird nicht allein der Persönlichkeitstest entscheiden, aber die Ergebnisse können mit den Kandidaten besprochen werden und in die Entscheidung eingehen.
Oft geht es in der Anwendung von Persönlichkeitstests nicht um Personalauswahl, sondern um Personalentwicklung, oder um besseres Verständnis der Unterschiedlichkeit von Menschen, oder die Verbesserung der Zusammenarbeit in Teams. Es gibt viele denkbare Anwendungsfelder, z.B.:
Kritik an den Persönlichkeitstests
Es gibt fundierte Kritik an den Persönlichkeitstests, und diese Kritik führt bei Verfechtern und Verkäufern von Persönlichkeitstests oft zu angesäuerten Reaktionen. Jedoch muss sich jeder, der Persönlichkeitstests verantwortungsbewusst einsetzen möchte, mit dieser Kritik beschäftigen.
Sehr viele, auch erfolgreiche, Instrumente berufen sich auf Theorien, die keine taugliche wissenschaftliche Grundlage sind.
1. Die theoretische Grundlage der Persönlichkeitstests
Die am häufigsten eingesetzten Verfahren (Insights Discovery, Insights MDI, MBTI, MPA usw.) beruhen auf der Persönlichkeitstypologie von Carl Gustav Jung. Diese Theorie gilt in der akademischen Psychologie als unwissenschaftlich. Wenn aber die zugrundeliegende Theorie nicht wissenschaftlich ist, dann nützen auch Nachkommastellen, anschauliche Typbeschreibungen („Abenteurer“) oder ein optisch beeindruckender Report nicht viel.
Teilweise wird auch als Kritik geäußert, die Theorien von Jung oder Marston („Emotions of Normal People“, 1928) seien ja bereits über 80 Jahre alt. Das allein ist aus meiner Sicht kein überzeugendes Argument. Wohl aber ist wichtig, wie diese Theorien entwickelt wurden, ob sie einer wissenschaftlichen Überprüfung zugänglich sind (!) und falls ja, ob sie wissenschaftlich bestätigt werden konnten. Und da spielt es indirekt eine Rolle, in welcher Zeit die Theorien entstanden sind, denn die Psychologie ist eine junge Wissenschaft und hat die heute gültigen wissenschaftlichen Standards vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt.
Die Persönlichkeitstypologie von Carl Gustav Jung wurde nicht wissenschaftlich gebildet, sondern ganz einfach aus einigen Beobachtungen Jungs an seinen Patienten. Die psychologische Forschung konnte diese Persönlichkeitstypologie nicht finden oder bestätigen.
Die Persönlichkeitstests, die große deutsche Unternehmen bei der Personalauswahl am häufigsten einsetzen, sind zugleich die aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdigsten.
Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologie Aktuell
Ungeachtet dessen sprechen die Anbieter solcher Persönlichkeitstests davon, ihre Instrumente seien „wissenschaftlich fundiert“. Sie können aber meistens nur auf eigene Studien verweisen – und die unabhängige und akademische psychologische Forschung kann eine solche Behauptung nicht stützen. Es bleibt dabei: Sehr viele, auch erfolgreiche, Instrumente berufen sich auf Theorien, die keine taugliche wissenschaftliche Grundlage sind.
Die mangelnde Wissenschaftlichkeit ist sicherlich der Hauptkritikpunkt im Diskurs über Persönlichkeitstests. Es gibt jedoch aus meiner Sicht noch weitere Punkte, über die man Bescheid wissen sollte.
2. Der fundamentale Attributionsfehler
Hoppla, noch so ein psychologisches Konzept. Ich möchte aber unbedingt kurz darauf eingehen, denn es ist für das Thema „Persönlichkeit“ von sehr großer Wichtigkeit.
Es gibt zwei wesentliche Determinanten von Verhalten: Die Person und die Situation. D.h. wir erklären ein beobachtetes Verhalten mit „Er/sie ist eben so“ (Person) oder „Sie/er hat das gemacht, weil es in der Situation passte“ (Situation bzw. Kontext). Und jetzt wird es spannend! Es gibt den sogenannten „fundamentalen Attributionsfehler“ (Lee Ross, 1977, „The intuitive psychologist and his shortcomings: Distortions in the attribution process„). Dieser Wahrnehmungsfehler bezeichnet die Tendenz, „den Einfluss dispositionaler Faktoren, wie Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen und Meinungen, auf das Verhalten anderer systematisch zu überschätzen und äußere Faktoren (situative Einflüsse) zu unterschätzen“ (Wikipedia). Kurzum: Person wird überschätzt, Situation wird unterschätzt.
Wenn wir aber unser eigenes Verhalten erklären, dann erklären wir es eher mit der Situation und viel weniger mit unserer Persönlichkeit. Wir messen mit zweierlei Maß. Wenn wir unser Verhalten erklären, bevorzugen wir situative Erklärungen („Ich musste das tun, weil gerade…“). Wenn wir das Verhalten anderer interpretieren, dann erklären wir es eher mit deren Persönlichkeit („Er/sie ist narzisstisch“). Disclaimer: Das ist ein statistischer Zusammenhang. Ich habe natürlich auch Menschen erlebt, die ihr eigenes Verhalten sehr stark mit ihrer Persönlichkeit erklären („Ich bin eben so“).
Es bleibt festzuhalten: Der Faktor „Person“ wird überschätzt, der Faktor „Situation“ wird unterschätzt. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Tendenz auch bei der Interpretation der Ergebnisse von Persönlichkeitstests besteht, oder sogar noch verstärkt wird. Das ist kein Grund, Persönlichkeitstests nicht einzusetzen, aber wenn man Persönlichkeitstests einsetzt, sollte man sich der Existenz des fundamentalen Attributionsfehlers bewusst sein.
3. Der Anwendungskontext
Ein weiterer Punkt, der sehr oft vernachlässigt wird, ist die Angemessenheit und Nützlichkeit des Einsatzes von Persönlichkeitstests in bestimmten Anwendungskontexten. Ein Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Anbieter ihre Instrumente zu Allheilmitteln verklären. Man soll damit praktisch alles machen können: Stellen richtig besetzen, den Erfolg von Führungskräften vorhersagen, den Verkaufserfolg von Vertrieblern steigern, Karriereberatung, Coaching, Nachfolgeplanung, Teamentwicklung, Konfliktklärung, Gesundheitsmanagement, Talentförderung, und was-weiß-ich-noch-alles. Aufgrund der Positionierung als eierlegende Wollmilchsau besteht die Gefahr, dass über die Anwendungsziele, die Stärken und Schwächen der Instrumente, die Grenzen der Aussagefähigkeit der Instrumente, die beabsichtigten und die nicht beabsichtigten Wirkungen beim Anwender nicht mehr weiter nachgedacht wird. Das sollte man jedoch tun.
Ein pointiertes Beispiel: Persönlichkeit ist ein zeitlich stabiles Muster. Für die Personalauswahl (hier möchte man Stabilität, damit die Vorhersagen etwas taugen) kann man Persönlichkeitstests hinzuziehen. Für die Personalentwicklung (hier möchte man Entwicklung, also Veränderung) sollte man nicht den Anschein erwecken, als könne man die Persönlichkeit ohne weiteres ändern, um z.B. sozialen Erwartungen besser zu entsprechen. Das spricht nicht gegen die Verwendung von Persönlichkeitstests in der Personalentwicklung, nur sollte man die Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen kennen und gegenüber den Anwendern offenlegen.
Checkliste: Was sollte man beim Einsatz von Persönlichkeitstests beachten?
Zunächst sollte man Kriterien zur Beurteilung von Persönlichkeitstests heranziehen. Ich schlage folgende Kriterien vor, die du unterschiedlich gewichten kannst:
Verwende Tests, die eine gute Anbindung haben an den wissenschaftlichen Korpus der Psychologie.
Verwende Tests, die eine gute Anbindung haben an den wissenschaftlichen Korpus der Psychologie. Das Testergebnis sollte ein mehrdimensionales Profil sein, nicht ein Typ. Das Persönlichkeitsmodell der Big Five gilt heute international als das „universelle Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung“ (Wikipedia). Es gibt ein enormes Ausmaß an Forschung zu diesem Modell. Daher erfüllen Tests, die auf den Big Five beruhen, eine wichtige Anforderung.
Darüber hinaus empfehle ich für den Einsatz von Persönlichkeitstests:
Als Fazit lässt sich festhalten:
Um die intensive Beschäftigung mit den Anforderungen und möglichen Tests für den jeweiligen Einsatz kommen Anwender nicht herum.
Daniela Eisele, „Persönlichkeitstests unter der Lupe„
Im nächsten Beitrag spreche ich mit Dr. Ronald Franke über ein neues Instrument: Persönlichkeitsentwicklung auf Grundlage der Psychologie – mit dem Personality Profiler
Welche Erfahrungen hast du mit Persönlichkeitstests gemacht? Welche Hinweise würdest du zusätzlich geben, wenn über den Einsatz eines Persönlichkeitstests entschieden wird?