“He, ist das nicht The XX?“ fragte ich den netten Teilnehmer im Workshop, der während der Pause auf seinem Laptop Musik spielte. „Keine Ahnung, was das ist. Ich höre einfach Spotify Listen. Für mich ist Musik Commodity.”
Wie kann man so etwas sagen? Der Soul von Marvin Gaye, der Punkrock von The Clash, der Hip Hop von The Roots eine im Hintergrund konsumierbare Ware, ohne affektive und kognitive Tiefe? Lieder, in die so viel Herzblut gesteckt wurden, Botschaften und Gefühle und Wissen transportiert werden, soll Hintergrundmusik in Zweckgebäuden sein? Was für ein ungelebtes Leben.
Der Podcast „Song Exploder“ erklärt uns seit über 180 Folgen, mit welcher Raffinesse Künstler ein Lied zusammenbauen und schrauben, damit es einen einzigartigen Sound erhält. Da ist jede schnelle Beurteilung eines von einer Spotify Playlist gespielten Songs mit schnellem Weiterklicken ohne Auseinandersetzung beim Hören eine Ohrfeige an die Musiker.
Die Aufregung endlich eine neue physische Langspiel-Platte zu haben, mit feuchten Fingerchen zu öffnen und zu hören erzeugt im Gehirn eine ganz andere Bereitschaft, sich auf das Werk ein- und die Synapsen verändern zu lassen. Die Schallplatte wird aus der Hülle genommen, auf den Plattenspieler positioniert, der Tonarm auf den Anfang gestellt. Man sinkt in den Sessel, betrachtet das Artwork und studiert die Texte.
Neue Technik ist natürlich toll und Streaming Dienste bereichern uns ungemein. Sie sind unter anderem eine Möglichkeit, zu explorieren und neue Musik kennenzulernen. Spotify ist eine gigantische Ressource, die unsere musikalische Kultur auf Knopfdruck oder per Voice abruft. Stimmt die Selbstmotivation und Disziplin sich auch mit sperrigen Songs auseinanderzusetzen und bei ersten Frustrationen, der Tendenz zum Weiterklicken zu widerstehen, kann natürlich ein der Schallplatte vergleichbarer „in den Sessel sinkender“ Musikgenuss entstehen. Die Erfahrung allerdings zeigt, dass man dann doch, wie bei so vielen aus dem Füllhorn des Internets, in den tragischen Zustand eines Kindes im Spielzeugladen, das schon alles hat, verfällt und nur wenig Aufmerksamkeit zur Auseinandersetzung aufbringt und auf „weiter“ klickt.
Wenn ich mich allerdings auf eine Veröffentlichung einer Platte freue und mich schon im Vorfeld damit auseinandersetze und auf Pitchfork oder Musikexpress darüber lese, dann habe ich die Bereitschaft, dieser Platte viel Aufmerksamkeit zu geben.
Wie sieht das im Fall des Lernens aus? Ich habe eine hohe Bereitschaft selbstmotiviert die Weiten der Lernresource des Netzes zu explorieren, wenn meine Problemstellung klar ist: „Wie übertrage ich csv-Dateien in eine Datenbank“, „Was heißt Bandscheibe auf Englisch?“ oder „Wie komme ich in die Innenstadt?“
Anders sieht es aus, wenn es um das Lernen von Verhaltensweisen geht, die meine soziale Interaktion betreffen. Diese Verhaltensweisen haben sich über Jahre eingeschliffen und sind in mir verankert. Vielleicht habe ich ein Bedürfnis diese zu ändern, weil ich erkenne oder ahne, dass sie mich in Konfliktsituationen verleiten oder wenig souverän im Umgang mit anderen erscheinen lassen. Vielleicht fehlen mir gar kommunikative Fertigkeiten, mit denen ich meine Arbeitsziele besser erreichen kann.
Dann ein Filmchen über die 4-Ohren des wirklich ehrenwerten Herrn Schultz von Thun zu schauen, bringt vielleicht einen interessanten Gedanken, der dann aber wieder in der Kakophonie des Arbeitsalltags untergeht. Veränderungen von kommunikativen Verhaltensweisen heißt aber ausprobieren, attraktive Simulationen nutzen, üben, schwitzen und überlegen, wie könnte ich mich besser verhalten. Das heißt auch Frustration zu durchbrechen, weil eingefahrene weniger funktionale Verhaltensweisen nicht gleich überschrieben werden. Hier benötigen die Lernenden ein Setting, das motiviert und kognitive und affektive Tiefe schafft, so dass ein Weiterprobieren nach Fehlversuchen wahrscheinlich macht und nicht zum schnellen Weiterklicken einlädt.