Die wenigsten Meetings sind produktiv. Und doch verbringen wir einen Großteil unserer Arbeitszeit mit ihnen. Mal eben einzustellende Online-Meetings haben das Phänomen „Meeting-Marathon“ noch verschärft. Wie bekommen wir bessere Meetings? Sonja Hanau, Expertin für gute Meetingkultur, erläutert den sich selbst erhaltenden Meetingkreislauf und schlägt einfache Wege vor, um ihn endlich zu durchbrechen.
„Ich komme vor lauter Meetings gar nicht mehr zum Arbeiten“
Viele Meetings zu haben führt in der Regel dazu, dass die Beteiligten – wie es so schön heißt – den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Oder anders ausgedrückt: vor lauter Terminen nicht mehr im Blick haben, was wirklich wichtig ist.
Der sich selbst erhaltende Meetingkreislauf
Ein paradoxer Mechanismus scheint hier zu greifen. Da die vielen Meetings so viel Zeit kosten, bleibt keine Zeit, um sie produktiv zu gestalten.
„Ich habe wegen der vielen Meetings nicht auch noch Zeit, die Meetings vorzubereiten. Machen wir also einfach noch ein Meeting.“
Ein Meeting nur zu haben und es nicht vorzubereiten, spart nur auf den ersten Blick Zeit. Im Meeting selbst führt es unweigerlich zu Ziellosigkeit, einseitigen Monologen, unnötigen Detaildiskussionen und überflüssiger Teilnahme…. Also zu all den Punkten, die Meetings zu ihrem schlechten Ruf verhelfen.
Die Bearbeitung kann nicht abgeschlossen werden. Nicht, weil zu wenig Zeit war, sondern weil die Zeit nicht effektiv genutzt wurde. Und was passiert, wenn ein Thema noch nicht abgeschlossen wird? Dann muss ein Folgemeeting her.
Der erste Schritt zur Lösung besteht darin, sich bewusst des Themas anzunehmen und mit den eigenen Meetings zu beginnen. Im zweiten Schritt sind dann die Meetings an der Reihe, in denen ich nur Teilnehmende:r bin.
Zwei Voraussetzungen, um weniger und gleichzeitig bessere Meetings zu haben
Weniger und dafür bessere Meetings kann ich erreichen, indem ich zwei Dinge tue:
Mir klar machen, WAS ich erreichen möchte.
Mir überlegen, WIE ich es erreichen kann.
Zu wissen, was ich erreichen will, ist die Grundvorrausetzung, um zum Ziel zu gelangen. Schon Seneca hat gesagt „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.“ Und trotzdem haben die wenigstens Meetings ein klares Ziel. Ein Ziel, das seinen Namen verdient.
Das Ziel eines Meetings nicht nur klar zu benennen, sondern vorweg auch zu überlegen, wie es konkret erreicht werden kann, ist für viele ungewohnt. An welchen konkreten Fragen sollen gemeinsam gearbeitet werden? Wie kommt möglichst jede:r zu Wort und wie lassen sich die verschiedenen Ideen in einem überschaubaren Zeitrahmen zu einer Lösung zusammen führen?
Die meisten Meetings laufen eher unstrukturiert und zufällig ab. Der eine Kollege redet über dieses Thema, die anderen Kollegin greift eine der vielen Facetten auf und bevor es zum eigentlichen Thema geht, ist die angesetzte Stunde schon wieder um.
Im Meeting-Alltag noch viel zu selten anzutreffen sind moderierte Meetings, in denen sich jemand im Vorfeld Gedanken gemacht hat, wie das Meeting ablaufen kann, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Jemand, der im Meeting die Verantwortung übernimmt, immer wieder auf dieses Ziel zu fokussieren. Auch auf die Gefahr hin, dass sich diese Rolle unbeliebt macht.
Wie soll diese zusätzliche Verantwortung auch übernommen werden, wenn der Kalender eh schon voll ist?
Ein Meeting mit mir selbst schafft Raum für bessere Meeting mit anderen
Eine kleine, aber wirkungsvolle Möglichkeit besteht darin, sich ein Meeting mit sich selbst einzustellen. Um das nächste eigene Meeting zu planen. Und um das Ziel klar zu definieren sowie den Weg dahin zu gestalten.
Meetings der anderen mutig hinterfragen
Jetzt sind bekanntlich nicht alle Meetings selbsteingestellt. Es flattern auch regelmäßig Einladungen zu Meetings von anderen in die Mailbox. Das sind oftmals Meetings, deren Titel unverständlich ist und bei denen unklar ist, warum ich überhaupt eingeladen wurde. Den Mut zu haben, von anderen Klarheit darüber einzufordern, worum es im Meeting geht und warum ich dabei sein soll, führt in der Regel dazu, dass die Qualität der Meetings zunimmt. Denn der Einladende ist durch diese Rückfragen gezwungen, sich selbst klarer zu werden, was er erreichen möchte. Und erledigt dadurch schon mal eine minimale Vorbereitung, die dem nächsten Meeting mehr Fokus beschert.
Steigern lässt sich der positive Effekt noch durch strikte Absage von Terminen, aus deren Einladung das Ziel nicht ersichtlich ist.
Zeit schaffen zum Optimieren von Meetings
Eine wichtige Voraussetzung für weniger und dafür bessere Meetings: Der Kalender braucht Platz zum Atmen. Zum Vorbereiten. Um produktive Gedanken reifen zu lassen. Eigene Denkzeit zu priorisieren ist sehr wirksam und gleichzeitig anspruchsvoll. Unternehmen können ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, in dem sie einen kollektiven meetingfreien Tag einführen.
Einen Tag die Woche gibt es meetingfrei
Durch einen unternehmensweiten meetingfreien Tag muss sich nicht mehr jede:r auf eigene Faust mühsam kleine Freiräume in seinem Kalender schaffen. Sie sind einfach da.
Ein meetingfreier Tag ist die Chance, den Kreislauf viel zu vieler Meetings zu durchbrechen. Und zwar nicht nur für den einzelnen, sondern für alle.
Die neue Regel wird etwas bewirken
Egal, ob allen Mitarbeitenden die Regel gefällt oder nicht – sie wird etwas bewirken. Menschen werden anfangen, über Meetings zu sprechen. Nachzudenken. Routinen zu hinterfragen. Und das führt fast zwangsläufig zu Veränderung.
Und zwar zu einer Veränderung, mit der sich viele schnell anfreunden werden.
Dies ist ein Gastbeitrag von Gesine Engelage-Meyer und Sonja Hanau, Autorinnen des Buches „Mit hybriden Teams mehr erreichen“. Die gegenderte Schreibweise ist von den Autorinnen übernommen.Die Formatierungen (fett usw.) sind von mir (Gerald Petersen).
Was sind deine liebsten digitalen Tools für das Lernen? Und warum? Diese Fragen stellt Jane Hart jedes Jahr und stellt die Ergebnisse als „Top Tools For Learning“ vor. Es ist interessant, sich die Fragen zu beantworten, und dann auch die Gesamtergebnisse zu sehen. Was ändert sich, was sind die Trends?
Für dieses Jahr sind meine zehn persönlichen Top Tools For Learning:
1. OneNote
OneNote ist mein Second Brain, d.h. mein Ideenspeicher und Personal Knowledge Management System.
2. Microsoft Teams
Teams ist die Plattform für alle Arten von Events, die ich für Kunden durchführe, also Live-Online-Trainings, Seminare, Workshops. Zoom mag international verbreiteter sein, und einfacher zu bedienen sein, aber Teams ist das, was meine Kunden vorwiegend nutzen. Und es macht Sinn, dass das Lernen auf der Plattform stattfindet, mit der auch vorwiegend gearbeitet wird. Teilnehmende finden sich bereits gut auf der Plattform zurecht, und sie brauchen kein neues Tool lernen. Daher fällt meine Wahl auf Teams, und nicht etwa Zoom oder Webex, die zweifellos ihre Vorzüge haben.
3. Conceptboard
Teams allein ist nicht ausreichend, um eine wirklich interaktive und funktionsstarke Lernumgebung zu realisieren. Ich verwende bei allen (wirklich bei allen) Veranstaltungen, die über ein Format von 2 Stunden Dauer hinausgehen, ein virtuelles Whiteboard zusätzlich zur Meeting-Software. Daher darf Conceptboard in dieser Liste nicht fehlen. Natürlich könnte man auch Miro oder Mural verwenden, doch Conceptboard setzt den Datenschutz in vorbildlicher Weise um und pflegt ein zurückhaltendes Marketing. Der Funktionsumfang der drei genannten Tools ist vergleichbar, würde ich sagen, nur die Bedienung ist unterschiedich. Da auch meine großen Kunden Conceptboard verwenden, bewege ich mich mit meinen Events auch hier im für die Teilnehmenden mehr oder weniger bekannten Rahmen.
4. Twitter
Ist Twitter ein Lern-Tool? Es kommt darauf an. Und zwar auf dich. Wozu nutzt du Twitter? Wem folgst du? Welche Themen vefolgst du? Twitter kann ein Lern-Tool sein, wenn du deinen Feed sorgsam kuratierst. Für mich hat Twitter sehr an Wert gewonnen, als ich mich mehr im englischsprachigen Twitter umgesehen habe. Da gibt es viele Accounts, die Interessantes zu den Themen Produktivität und Lernen twittern. Leider ist das Format „Thread“ extrem unhandlich. Ich kann zwar Threads liken oder bookmarken und dadurch (vielleicht) wieder auffindbar machen. Aber es ist extrem umständlich, einen Thread in mein OneNote zu überführen. Das ginge über den Umweg mit Readwise und Instapaper oder anderen Tools, aber da ich lieber weniger Tools verwende als eine Vielzahl von Tools (think Marie Kondo), bleibt es für mich ein Nervfaktor. Nichtsdestotrotz, Twitter ist für mich ein Lerntool.
5. WordPress
WordPress ist für mich das Blog-Tool, um zu lernen, indem ich schreibe, und um eigenes Lernen öffentlich zu machen. Wovon andere profitieren können.
6. Feedly
Feedly ist der für mich beste RSS-Reader. RSS ist ein Format, das zu Unrecht vergessen wurde. Ich kann mit Feedly Blogs organisieren und schnell sehen, was veröffentlicht wurde. Im Prinzip kann man mit Feedly noch mehr machen, nämlich auch andere Quellen als nur Blogs verfolgen, sofern von der Quelle ein RSS Feed zur Verfügung gestellt wird. Auch Newsletter ließen sich auf diese Weise ordnen und darstellen. Ich persönlich nutze Feedly nur für Blogs. Diesen Blog hinzufügen: Add Content, Adresse https://talk-about-learning.de/ eingeben, go!
7. Google Search
Gähn, ja, die Google-Suche. Ist als Recherche-Tool und Sprungbrett unverzichtbar. Daher werden wir Google Search auch in den Ergebnissen der aktuellen Erhebung auf einem Spitzenplatz wiederfinden.
8. PowerPoint
PowerPoint wird immer wieder mal totgesagt, aber am Ende nutzen es doch fast alle. So auch ich. Powerpoint ist für mich das Tool, Lerninhalte zweckgerecht und wirksam aufzubereiten. In der Präsenz-Situation habe ich viel mit Flipchart und Pinwand gearbeitet. In virtuellen Events arbeite ich mit Conceptboard und Powerpoint. Bei der Content Creation komme ich um PowerPoint kaum herum.
9. Mentimeter
Ich habe ja schon Conceptboard als Tool für das virtuelle Whiteboard genannt. Nicht immer ist der Einsatz eines virtuellen Whiteboards möglich oder zweckmäßig. Für kürzere Events oder große Gruppen bietet sich Mentimeter an. Mentimeter ist ein Audience Response Tool und ich kann damit unterschiedliche Use Cases realisieren, z.B. Polls, Feedback, Quizzes, Wortwolken oder interaktive Präsentationen. @Microsoft: Wann geht das, was Menti kann, mit PowerPoint?
10. LISA
LISA ist eine Bibliothek der Liberating Structures. Liberating Structures sind klar strukturierte Moderationsmethoden, die in Workshops oder anderen sozialen Lernformaten eingesetzt werden können und alle Teilnehmenden gleichberechtigt einbeziehen. LISA ordnet die einzelnen Structures und macht Vorschläge für sogenannte Strings (eine bestimte Abfolge von Liberating Structures). LISA ist für Moderatoren eine übersichtliche Referenz – und kostenlos.
Email your 10 tools to jane.hart@c4lpt.co.uk with indication of (a) which context you use them (ie 1,2, and/or 3 above) together with your job role
Tweet your 10 tools to @C4LPT with indication of indication of which context you use them (ie 1,2, and/or 3 above)
Write a blog post about your choice and send the link to Jane Hart.
Ich habe hier von der vierten Möglichkeit Gebauch gemacht.
Zusammenfassung (auf Englisch)
Und hier die Zusammenfassung für meine „Top Tools For Learning 2022“ Liste:
OneNote At work (For self-improvement and self-development) OneNote serves as my Second Brain (Personal Knowledge Management System).
Microsoft Teams At work Teams is the platform for events, like live-online-trainings, seminars, workshops.
Conceptboard At work The virtual whiteboard solution Conceptboard serves as supplement to Teams for immersive interactive events.
Twitter For self-improvement and self-development Twitter can be an inspiring learning tool if you curate your feed diligently.
WordPress At work WordPress is for learning by sharing and sharing for learning.
Feedly At work Feedly is my RSS reader to keep up with the blogs I read.
Google Search At work Yawn. But you cannot without, you know it.
PowerPoint At work Content Creation is PowerPoint. To a great deal.
Mentimeter At work The audience response tool I use for shorter events and for working with big groups.
LISA At work LISA is a library of Liberating Structures, a set of structured methods for facilitating meetings, fostering collaboration and co-creation.
Was sind deine Top Tools For Learning? Wie verändert sich dein Toolstack über die Zeit? Hier ein Rückblick in die Ergebnisse 2019, also vor der Pandemie:
Die hybride Zusammenarbeit ist die Zukunft. Es ist noch nicht ausgehandelt, zu welchen Anteilen die Arbeit virtuell, in Präsenz oder eben hybrid erbracht wird. Aber dass die Zukunft der Arbeit irgendwie hybrid ist, da sind sich wohl alle einig. Neu erschienen ist ein Buch zum Thema, das ich heute gerne vorstelle:
Mit hybriden Teams mehr erreichen – Werkzeuge, Methoden und Praktiken für gelungene Zusammenarbeit auf Distanz
von Gesine Engelage-Meyer und Sonja Hanau
Neben sechs Modulen für die Team-Zentrale hybrider Teams (Warum, Werkzeuge, Strukturen, Methoden, Rituale und Kultur) schlagen die Autorinnen sechs Praktiken für das tägliche Gestalten vor (Fokussieren, Partizipieren, Visualisieren, Digitalisieren, Zentralisieren und Reflektieren), um dann auf die Besonderheit hybrider Meetings einzugehen und Gedanken zum Change zu teilen.
Was ist ein hybrides Team?
Was ist ein hybrides Team? Die Autorinnen formulieren es so:
Ein hybrides Team ist technisch, organisatorisch und kulturell so aufgestellt, dass es zeit- und ortsunabhängig zusammenarbeiten kann.
Aus den Dimensionen Raum und Zeit ergeben sich drei mögliche hybride Arbeitsräume: Vor Ort, Online und Asynchron.
Einige knackige Aussagen zur hybriden Zusammenarbeit
Ich bringen im Folgenden einige zentrale Punkte (als Zitate) aus dem Buch und teile meine Gedanken dazu. Auf gehts!
Es gib kein Richtig und kein Falsch.
Das sehe ich auch so. Es gibt keine Lösung, die für alle passt. Es gibt Lösungen, die für ein bestimmtes Team zu einer bestimmten Zeit passen. Allerdings ist auch ein Teil der Wahrheit, dass die Dinge damit komplexer werden. Teams können nicht einfach fragen „Was ist die Best Practice?“, um dann diese vermeintliche Best Practice zu kopieren. Ich selbst mache durchaus auch Vorschläge für Teams zur Gestaltung der Zusammenarbeit, aber eben nur als Orientierung. Ich spreche dann von „Good Practice“, also einer guten, brauchbaren Praxis, die aber im Detail noch ausgehandelt werden muss. Wir müssen uns im Team über die Vorgehensweisen unterhalten, um ein gemeinsames Verständnis und tragfähige Lösungen zu entwickeln. Metakomunikation!
Damit hybride Zusammenarbeit gelingt, braucht es neben erweiterten technischen Fähigkeiten vor allem mehr Reflektions- und Moderationskompetenz.
Das ist vielleicht mein Lieblingssatz aus dem Buch. Ich erlebe es häufig, dass die hybride Zusammenarbeit als eine Frage der digitalen Technik gesehen wird. Das ist nicht falsch, betrifft aber nur den kleineren Teil der gesamten Fähigkeiten, die für eine gelingende hybride Zusammenarbeit nötig sind. Der größere Teil betrifft die Methodenkompetenzen. Die neuen Kompetenzen können nicht einfach vorausgesetzt werden, sondern müssen häufig (weiter)entwickelt werden. Lernen!
Wieder volle Zustimmung von meiner Seite. Und wahrscheinlich sind diese Begriffe weitgehend selbsterklärend – vielleicht bis auf den Punkt „Zentralisieren“. Bedeutet „Zentralisieren“, dass wieder mehr aus einem Zentrum heraus gesteuert werden soll? In den letzten Jahrzehnten erlebten wir einen starken Trend in Richtung Dezentralisierung. Soll das Rad jetzt zurückgedreht werden? Nein. Gemeint ist hier, dass die Teammitglieder gemeinsam auf alle Informationen und Werkzeuge zugreifen können. Aha. Sinnvoll!
In der Zusammenarbeit auf Distanz gibt es beiläufige Kommunikation nur, wenn jemand bewusst die Gelegenheit dafür schafft.
Bemerkenswert finde ich, dass die informelle Kommunikation früher gar nicht thematisiert wurde. Es gab keinen Anlass dafür. Die informelle Kommunikation war schlicht und einfach ein selbstverständlicher Teil der Arbeit, und man machte sich keine Gedanken darüber. Nach der Zwangsvirtualisierung, zunächst aufgezwungen durch die Pandemie, fiel es plötzlich auf, dass da etwas fehlt: Die lockeren Gesprächen in der Teeküche, in der Kantine, auf dem Flur, an Schreibtischen. Viele klagten und klagen über eng getaktete Meetings, die keinen Raum lassen für informelle Kommunikation. Wir müssen also überlegen, wie ein digitales Pendant aussehen kann. Und da es sich nicht durch die Situation und die mehr oder weniger zufällige Begegnung ergibt, müssen wir das virtuelle Pendant erst erschaffen und bewusst einsetzen. Es gibt technisch gesehen, viele Möglichkeiten, das zu tun: Chat, Channel, Enterprise Social Network (ESN), 3D Welten (Metaversum), virtuelles Whiteboard. Und damit gleich zu nächsten Zitat:
Das digitale Whiteboard ist in hybriden Teams der zentrale Ort für kreative Interaktion – egal ob synchron oder asynchron.
Gefühlt hat jedes Unternehmen ein digitales Whiteboard. Ich meine damit nicht die physischen Whiteboards, die irgendwo an der Wand hängen, auch wenn sie „digital“ sind. Ich meine Software-Lösungen wie Mural, Miro oder Conceptboard. Viele Mitarbeitende nutzen diese Lösungen bereits, aber ich sehe ein noch viel größeres Potenzial. Schön finde ich auch die Feststellung der Autorinnen: „egal ob synchron oder asynchron“. Wir folgen noch viel zu oft dem Reflex „Da brauchen wir ein Meeting!“. Sehr viele Aufgaben lassen sich aber genauso gut oder sogar besser asynchron erledigen. Ja, auch wenn es um Kreativität geht!
Die meisten Meetings laufen einfach irgendwie… Dominiert werden die Runden oft von einigen wenigen.
Das höre ich auch oft, und das tut weh. Meetings sind ein immens wichtiger Teil der hybriden Zusammenarbeit. Viele Menschen verbringen viel Zeit in Meetings – und hassen es! Dabei gibt es ganz viele Möglichkeiten, effektive Meetings zu gestalten. Und häufig sind viele dieser Möglichkeiten bekannt. Wenn ich in Workshops nachfrage, kommen viele gute Ideen, was zu tun ist. Nur werden die Dinge leider oft nicht umgesetzt. Es gibt (wie in vielen Bereichen der Kommunikation) eine große Kluft zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung. Eine der vielen Möglichkeiten, wirklich effektive Meetings zu machen, ist: Moderation!
Das Buch sagt genau das, was ich in meiner Arbeit mit Teams auch immer sage. Es gefällt mir, dass sich viele Wahrheiten finden, und dass es viele praktische Hinweise gibt zur Gestaltung der hybriden Zusammenarbeit. Ich fühle mich bestätigt, und merke, dass die Autorinnen und ich ähnlich denken.
Ein wenig wohlwollende Kritik
Die vorgestellten Methoden (Kapitel 3.4) nehmen im Buch nehmen einen großen Raum ein (ca. ein Fünftel des gesamten Buches). Natürlich sind diese Methoden wichtig. Jedoch, für Moderatoren sind sie nichts Neues. Und für Team-Mitglieder, die gerade erst anfangen, zu moderieren, sind sie teilweise schon etwas anspruchsvoll. Es gibt Methoden, die sind sehr einfach umzusetzen (Check-in, Abstimmung, Starfish). Es gibt jedoch auch Methoden, die man besser einmal selbst erlebt haben sollte, bevor man sie selbst anwendet (1-2-4-All, Delegation Poker, Konsent). Im Buch sieht alles gleichwertig aus; ich hoffe, den LeserInnen wird dennoch klar, dass manche Methoden viel mehr an Vorbereitung, Wissen oder methodischer Umsetzungskompetenz benötigen als andere. Es ist schon vorgekommen, dass an sich sehr gute Methoden durch falsche Anwendung „verbrannt“ wurden. Das muss ja nicht sein.
Den Begriff „asynchrones Meeting“ (Kapitel 5.6) finde ich überflüssig. Ich verstehe, was gemeint ist, aber den Begriff „Meeting“ verwende ich nach wie vor nur für synchrone Zusammenarbeit. Warum nicht „Projekt“?
Das war es auch schon mit Punkten, die für mir persönlich kleine Stolpersteine beim Lesen waren.
Fazit
Insgesamt ist das Buch wirklich gelungen und kann Teams in Organisationen eine große Hilfe sein.
Ich hoffe, ich habe Appetit gemacht auf dieses feine Buch zur rechten Zeit. Das Buch möchte „Reisebegleiter“ sein für Führungskräfte und alle, die die Team-Zusammenarbeit gestalten. Nach Einführung des „hybriden Team-Modells“ in Kapitel 2 geht es um die Ausgestaltung der Modell-Elemente in der konkreten hybriden Zusammenarbeit. Es gibt Schritt-für-Schritt-Leitfäden, um strukturiert vorzugehen. Viele Methoden, die in hybriden Zusammenhägen eingesetzt werden können, werden steckbriefartig dargestellt. Immer wieder gibt es wertvolle Hinweise und Tipps für die Praxis der hybriden Zusammenarbeit.
Unterstützt wird die „Reise“ auch mit einen Downloadangebot, um hilfreiche Arbeitsvorlagen herunterzuladen (Link auf Seite 18 im Buch). Praktisch!
In jedem Fall wünsche ich den Teams, die sich auf diese Reise begeben, viel Erfolg mit der weiteren Gestaltung der virtuellen und hybriden Zusammenarbeit! Da ist noch sehr viel Potenzial für die Produktivität zu holen.
Seit 2020 ist Christian Herrmann für die kaufmännische Ausbildung bei Siemens Smart Infrastructure Electrical Products verantwortlich. Die Pandemie hat viele Prozesse unseres gewohnten Arbeitslebens verändert und auf den Kopf gestellt. Daher ist Christian Herrmann besonders stolz, dass trotz dieser Umstände rund 20 Dual Studierende in den letzten zwei Jahren eine fundierte Ausbildung genießen konnten. Wir wollten von ihm wissen, welche Erfahrungen er als Ausbildungsleiter in der Pandemie gemacht hat.
Was war die größte Herausforderung für Euch in der Pandemie?
Die größte Herausforderung war, dass wir das Leben vor Ort im Büro nicht erlernen konnten. Im Gegensatz zu der technischen Ausbildung, die weiterhin vor Ort stattfand, war bei uns in den kritischen Phasen der Pandemie zu 100 % Homeoffice angesagt.
Das Lernen mit dem Blick über die Schulter der erfahrenen Kolleginnen und Kollegen fiel durch die Pandemie aus. Ein Erlernen des normativen Verhaltens im Büroalltag konnte nicht stattfinden. Es gab keinen informellen Austausch in der Teeküche. Und auch das Verständnis, wann ich Anerkennung erhalte, was sind Aufgaben, die ich übernehmen kann, konnte sich nicht ausprägen.
Auch in den Einsatzabteilungen selbst war es für die Dual Studierenden nicht einfach, sichtbar zu sein. In einem komplett virtuellen Umfeld auf neue Auszubildende aufmerksam zu machen, die für Einsätze bereitstehen, ist sehr herausfordernd.
Insbesondere die Sozialkompetenz – wie gehe ich mit Menschen im Berufsleben um – entwickelt sich über reale Erfahrungen. Wenn diese wegfallen, wird es schwierig. Das ist ähnlich wie mit Kindern, die nicht in die Kita gehen und dort eben nicht den alltäglichen Situationen ausgesetzt sind. Sie lernen auch nicht, sich mit anderen auseinander zu setzen. Im Homeoffice gibt es keinen Konflikt mit Kolleginnen und Kollegen, wer die Spülmaschine leerräumt oder den letzten Kaffee verbraucht hat.
Wie seid Ihr damit umgegangen?
Wo es möglich war, haben wir uns mit den Abteilungen abgestimmt und die Dual Studierenden ins Büro geholt. Uns war wichtig, dass sie ein Minimum an Büroatmosphäre schnuppern können.
Die Dual Studierenden haben ein Projekt aufgesetzt, wie wir und sie in der Ausbildung mit dem New Normal umgehen und entsprechende Spielregeln definiert. Drei der Spielregeln, die gut funktioniert haben, waren:
In virtuellen Meetings wird in der Regel immer die Kamera eingeschaltet.
Wöchentliche „Check-Ins“ mit dem jeweiligen Betreuer aus der Abteilung für einen regelmäßigen Austausch „wie läuft’s“, „wie ist die Auslastung“ und „wie ist die Stimmungslage“.
Was sind Eure Key Learnings?
Begreife die Krise als Chance: Mache Dir die Nachteile zunutze und verwandle sie in Vorteile. Früher hieß es oft „Das geht nicht!“. Die letzten zwei Jahre haben uns aber gezeigt, was alles (im Virtuellen) möglich ist. Wir wurden standortunabhängiger und konnten den Geschäftsgedanken in den Mittelpunkt setzen.
Wenn wir vor der Pandemie überlegt haben, ob wir eine Vor-Ort-Besprechung mit Kolleginnen und Kollegen in Regensburg abhalten, so bedeutete das zwei Stunden für Hin- und Rückfahrt. Jetzt ist es selbstverständlich, ein Online Teams-Meeting aufzusetzen. Die Standorte sind dadurch noch mehr zusammengewachsen.
Das gilt vor allem auch für die Dual Studierenden. Früher haben sich die Studierenden der unterschiedlichen Standorte zwar besucht, einen regelmäßigen Austausch gab es jedoch nicht. Durch digitale Möglichkeiten konnten sich die Studierenden jetzt standortübergreifend vernetzen und eine gemeinsame Identität entwickeln.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Bereiche, die aus dem Homeoffice nicht optimal bedient werden konnten, müssen nun neu gestärkt werden. Insbesondere ist das die Pflege der zwischenmenschlichen Kontakte, vor allem bei Kolleginnen und Kollegen, die sich noch nicht seit Jahren oder gar Jahrzehnten persönlich kennen.
Unsere beiden jüngsten Jahrgänge kennen Siemens fast nicht ohne Pandemie. Viele von ihnen haben sich daher noch nie persönlich vor Ort gesehen. Selbst ich habe bis vor Kurzem noch nicht alle persönlich kennengelernt. Bei unserer ersten Betriebsfeier seit Pandemie-Beginn im Mai 2022 konnten wir das nun endlich nachholen. Ich habe sofort die Energie gespürt, die durch das persönliche Kennenlernen entstanden ist und freue mich schon darauf, zu sehen, wo uns die Reise mit dieser neuen Basis hinbringt.
Wichtig ist in meinen Augen, jetzt keine Dogmen oder allzu strengen Regeln aufkommen zu lassen, sondern im Gegenteil die neue Flexibilität des Arbeitens und Lernens für uns positiv zu nutzen. Im Mittelpunkt steht jetzt für uns, die Entwicklung der nächsten Monate und Jahre beobachten und für uns die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Was funktioniert bereits und was muss noch weiter verbessert werden.
Reicht denn ein Gehirn nicht? Nein. Ich brauche ein zweites Gehirn. Mein erstes Gehirn sitzt im Kopf. Mein Second Brain ist digital.
Es geht in diesem Beitrag um ein „Second Brain“, nicht um Arbeitsorganisation und Aufgabenmanagement. Mein Ziel ist, mein kreatives Potenzial besser auszuschöpfen, und leichter Output generieren zu können, der anderen einen Mehrwert bietet.
Das zweite Gehirn soll hauptsächlich folgende Funktionen haben:
Informationen speichern, die ich zur Entlastung aus meinem ersten Gehirn auslagere
Informationen speichern, die ich „irgendwo“ finde, und die mit mir resonieren
Informationen ordnen, sinnvoll strukturieren und verknüpfen
Ideen speichern, die sonst wahrscheinlich verloren gehen
Die Verwendungen von Informationen vorbereiten
Meiner Meinung nach braucht jeder Profi, der mit seinem Kopf (seinem ersten Gehirn) arbeitet, ein zweites Gehirn. Wie das zweite Gehrin aussieht, kann sehr individuell sein (siehe unten, Abschnitt „zurück zu unserer Lerngruppe“, da finden sich Links zu Darstellungen individueller Umgebungen).
MeinZiel22 – Das Jahresprojekt der Corporate Learning Community
Die umtriebige Corporate Learning Community veranstaltete dieses Jahr eine selbstorganisierte Lernreise: #MeinZiel22. Ich fand auch gleich einige Gleichgesinnte und definierte öffentlich auf dem Padlet mein Ziel:
KR1: Ich habe Software-Lösungen für mein persönliches Ideen- und Wissensmanagement.
KR2: Ich habe alltagstaugliche Workflows für mein persönliches Ideen- und Wissensmanagement.
KR3: Ich habe meine Erkenntnisse und Praktiken in einem Blogpost zusammengefasst.
Quellen für Informationen können ganz unterschiedliche Medien sein. An erster Stelle steht das erste Gehirn. Ich habe eine Idee, irgendeine Idee. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich diese Idee wieder vergesse, wenn ich sie nicht notiere. Daher benötige ich ein System, auf das ich mobil und schnell zugreifen kann. Darüber hinaus können beispielsweise folgende Quellen in Frage kommen, um einen Gedanken, einen Text, oder einen Link aufzugreifen:
In einem Artikel in der ZEIT steht ein interessanter Fakt
Im Magazin managerSeminare finde ich eine gute Anregung
Ich lese in einem Newsletter ein interessantes Zitat
Ich finde auf Linkedin einen interessanten Link
Ich sehe auf Twitter eine Abbildung, die einen Sachverhalt übersichtlich darstellt
Ich kondensiere einige Takeaways aus einem Konferenzbeitrag
„Persönliches Ideen- und Wissensmanagement“ und „Building a second brain“ verstehe ich als synonym. „Notetaking“ ist ein wichtiger Teil des gesamtes Prozesses.
Bezug zum Lernen
Kompetenzen, die man selbst benötigt, kann man schlecht auslagern. Wissen dagegen schon. So wie wir uns vieles nicht merken brauchen, weil wir die benötigte Information jederzeit mit Hilfe einer Suchmaschine finden können, so können wir auch Informationen, die eine sehr individuelle Bedeutung für uns haben, digital speichern. Wenn wir diese Informationen benötigen, können wir darauf zurückgreifen, also zum Beispiel eine Idee weiterentwickeln, eine PowerPoint-Slide gestalten, einen Blog-Post schreiben.
Wissen an sich brauchen wir nicht zu lernen, das es leicht verfügbar ist. Aber mit der Verfügbarkeit ist wenig gewonnen, denn es geht ja immer um die Anwendung, um die Nutzbarmachung von Wissen, und um Lernen. Dafür benötigen wir sehr wohl ein System, das unsere Lernanliegen, Aufgaben und Projekte unterstützt. Das trifft um so mehr zu, je vielseitiger die eigenen Interessen und die eigene professionellen Anforderungen sind. Man kann sich ein sehr spezielles Gebiet einarbeiten und das Wissen im ersten Gehirn speichern. Ich habe kürzlich mein Auto verkauft, ein Nissan 350 Z Baujahr 2004. Der Käufer war im positiven Sinne ein Freak, wusste alles über dieses Auto (was mir sehr sympathisch war). Ist man (über ein Spezialgebiet hinaus) vielseitig interessiert oder gefordert (T-shaped professional, Multispezialist), dann können wir nicht alles im ersten Gehirn abspeichern. Wir benötigen eine Art Meta-Kompetenz, die darin besteht, Wissen verfügbar zu machen.
Nicht zu vergessen: Notetaking ist Schreiben. Und Schreiben ist ein kreativer Prozess. Schreiben ist ein Mittel, selbst zu lernen und gleichzeitig die eigenen Erkenntnisse für andere nutzbar zu machen.
Meine Geschichte des persönlichen Knowledge Managements
Ein Rückblick: Wo komme ich eigentlich her, was dieses Second Brain betrifft?
Im Studium habe ich nur handschriftliche Notizen gemacht, und diese erst digitalisiert im Rahmen von Projekten und der Diplomarbeit. Heute würde ich das ganz anders machen. Ich denke sogar, die Verwendung einer (oder mehrerer) Notetaking-Apps ist der allergrößte Unterschied in der Methodik, die ich damals angewendet habe und der Methodik, die ich mit heutigen Mitteln anwenden würde.
Im Berufsleben lernte ich das Helfrecht-System kennen. Da geht es um weit mehr als Notizen, es geht um das ganze Life-Styling, und dafür wurden auch Seminare angeboten. Mein erster Chef hatte einige mitgemacht, und sagte sinngemäß: „Für einige ändert sich das ganze Leben, und einige hängen abends an der Bar und besaufen sich, weil sie mit dem Ansatz, das eigene Leben gezielt zu gestalten, nicht klarkommen“. Na jedenfalls, Helfrecht hatte so kleine Ringbücher im Ledereinband, und haufenweise Templates, also Vorlagen für Notizen. Es gab einen Kalender mit Jahresplanung, ein Telefonbuch, Projekte, Aufgabenlisten usw. Eine typische Ansicht war, dass auf der linken Seite der Kalender war, und auf der rechten Seite die Aufgabenliste. Das war übersichtlich und durch die Verwendung von Symbolen hatte man ein brauchbares System. Ich konnte gut damit arbeiten, aber nichts war digital.
Der erste Weg für mich, Notizen zu digitalisieren, war (nach Lotus Notes, aber das war ja nur für die Firma, da hatte ich keine privaten Infos drin) Microsoft Outlook. Jetzt gab es digitale Kontakte, einen digitalen Kalender, E-Mails, und auch eine rudimentäre Notizen-Funktion. Im Grunde habe ich aber versucht, alles an Informationen und Aufgaben irgendwie in bestimmte Bahnen zu bringen. Termine, Aufgaben und Mails fanden sich in Outlook, Was da nicht reinpasste, landete möglichst in einem Dokument, wodurch sich ein Mehrwert ergab. Das bedeutet, eine inhaltliche Idee habe ich in die PowerPoint-Präsentation eingefügt, in der die Idee passte, und sei es als Anhang. Eine Gestaltungsidee für ein Training oder Workshop habe ich in den Guide eingearbeitet, und sei es als Exkurs.
Später wechselte ich zu Evernote. Evernote war die erste wirklich für den Zweck geschaffene Notizen-App. Evernote hat gezeigt, dass es einen riesengroßen Markt gibt für derartige Programme.
Irgendwann wurde ich unzufrieden mit Evernote, obwohl es schon damals eine ausgezeichnete Lösung war. Mich störte, dass es nur auf zwei Devices genutzt werden konnte, bei Nutzung von drei Devices wurde es kostenpflichtig. Und Evernote setze voll und ganz auf Tags. Man musste wissen, wie die Tags heißen, um das Gesuchte zu finden. Mir fehlte die Struktur.
Ich bin dann gewechselt zu Microsoft OneNote. In OneNote kann man sich eine klare Struktur bauen, es ist kostenlos, und läuft auf beliebig vielen Devices (ich erspare mir und euch den Ausflug in die vielen unterschiedlichen Versionen von OneNote, das war wirklich nicht schön, was Microsoft da gemacht hat).
Mittlerweile hat sich Evernote weiter entwickelt und ist eine der allerbesten Lösungen, die man sich wünschen kann. Ich bin aber bei OneNote geblieben, da OneNote integrierter Teil der von mir genutzten Office 365 Umgebung ist.
Der Markt entwickelte sich weiter und es entstanden eine ganze Menge sehr vielversprechender Apps und App-Konglomerate. Notion, Obsidian, Readwise, Google Keep, Logseq, Zotero, Roam Research usw. Das faszinierte mich und ich wollte mich einmal systematisch damit befassen. OneNote wurde mir etwas suspekt, und ich vermutete, es müsse eine “bessere” Lösung für mich geben.
Zurück zu unserer Lerngruppe
Wir vereinbarten zweiwöchentliche Treffen, um uns in unserem Lernzirkel auszutauschen. Wir waren sechs Lernende, die sich zu dem Thema “Persönliches Ideen- und Wissensmanagement” zusammenfanden.
Zunächst einmal war es ein gutes Gefühl, zu erkennen, dass ich mit meinem Wunsch nach einem effizienten Second Brain nicht allein war, sondern in bester Gesellschaft. Ich habe durch den wechselseitigen Austausch viele Anregungen erhalten, was ich mir näher anschauen könnte, und wie andere bestimmte Herausforderungen gelöst haben.
Ich habe das Lernprojekt von vornherein auch mit einem Anteil ”learning in public” geplant, wie man an dem von mir definierten KR3 (s.o.) sehen kann. Ich bin mit der Veröffentlichung dieses Beitrags ein wenig spät, andere waren da zeitnäher:
Herwig Kummer veröffentlichte bereits früh „#MeinZiel22 Mein Personal Learning Framework aufbauen“:
Torben Mau veröffentlichte Monatsnotizen:
Axel Wolpert veröffentlichte seinen „Abschlussbericht“ auf Linkedin.
Als Abschluss für das Lernprojekt war ursprünglich das BarCamp am 24.+25.5.2022 gedacht. Da konnte ich leider nicht eilnehmen, da das BarCamp mit einer eigenen Präsenzveranstaltung zusammenfiel.
In meiner Lerngruppe war übrigens Obsidian das meistgenutzte Tool.
Erkenntnisse
Ich hatte mich bis zum Start des Lernprojektes nur wenig mit echten Systemen für ein zweites Gehirn befasst. Das Lernprojekt war ein Anlass, sich solche Systeme näher anzusehen.
„Building A Second Brain“ (BASB) ist ein Ausdruck von Tiago Forte. Die Stärke dieses Ansatzes liegt aus meiner Sicht darin, dass Tiago das Second Brain als Gesamtsystem beschreibt, und immer wieder betont, dass es nicht darauf ankommt, viele Informationen zu sammeln (mit denen man nichts macht), sondern dass es darauf ankommt, Informationen wirklich zweckgerichtet einzusetzen und dafür einen Prozess zu haben.
Berühmt geworden ist der (analoge) Zettelkasten von Arno Schmidt. Schmidt nummerierte jede seiner Notizen auf Karteikarten und verknüpfte damit zusammengehörige Notizen untereinander (Sönke Ahrens: „Das Zettelkasten-Prinzip“). Viele Tools setzen sehr auf die Verknüpfung von Notizen, was auch visuell dargestellt werden kann. Die Stärke dieses Ansatzes ist aus meiner Sicht, dass man leicht Verknüpfungen entdecken kann, die sonst übersehen würden. So können neue Ideen und Erkenntnisse entstehen.
Es gibt noch mehr in diesem Bereich. Ein System kommt von Martine Ellis und nennt sich “Linking your Thinking“ (https://www.linkingyourthinking.com/).
Letztlich kann man sich mit den entsprechenden Tools ein eigenes System basteln, zum Beispiel mit Templates, wie sie für Notion zahlreich zur Verfügung stehen. Da geht es dann eher um das Aussehen der einzelnen Notiz, und weniger um die Struktur aller Notizen.
BASB ist not building an archive it’s creating a system for taking action.
Tiago Forte (Second Brain Summit, März 2022)
Wichtiger als das eigentliche Notetaking ist der Prozess, eigene Notizen verwendbar zu machen. Hier gibt es zum Beispiel das Framework Seek – Sense – Share von Harold Jarche oder das Framework CODE von Tiago Forte.
Typische Herausforderungen beim Notetaking
Es gibt so einige Herausforderungen beim Notetaking. Möchte ich ein System, das vorwiegend mit Tags arbeitet (Evernote = tagging first) oder ein System, das vorwiegend mit einer hierarchische Struktur arbeitet (OneNote = notebook first) oder ein System, das vorwiegend mit der Verknüpfung von Notizen arbeitet (z.B. Obsidian)? Tiage Forte versucht, hier eine Entscheidungshilfe zu liefern, indem er unterschiedliche Typen von Notetakern identifiziert und entsprechende Tools empfiehlt. Er unterscheidet als Typen: Architect, Librarian, Gardener, Student.
Man muss also zunächst herausfinden, worauf man Wert legt und dann entsprechende Tools ausprobieren.
Eine weitere Herausforderung ist: Egal welches Tool man nutzt, der Input kann aus vielen unterschiedlichen Quellen stammen. Diese Quellen (Blogs, Magazine, Bücher, Newsletter etc.) sind zunächst entkoppelt und stehen nebeneinander. Die Frage ist nun: Wie bekomme ich die Informationen in mein System, in dem die Notizen gesammelt werden und zueinander in Beziehung gesetzt werden? Wie bekommen ich etwas, das ich in Feedly interessant finde, in meine Notetaking App? Wie bekomme ich ein Highlight aus einem Buch in meine Notetaking-App? Wie bekomme ich einen Twitter-Thread, der resoniert, in meine Notetaking-App?
Ich habe unter anderem mit Readwise und Instapaper experimentiert. Darüber hinaus habe ich auch versucht, mit Hilfe von IFTTT und Zapier Verknüpfungen und Automatisierungen herzustellen. Ich bin gescheitert. Anders gesagt, ich konnte keine für mich überzeugenden Lösungen finden. Immer gibt es etwas, was nicht geht. Und wenn eine Aufgabe tatsächlich funktioniert, so ist es nur eine ganz kleine Insellösung, die mir insgesamt nicht weiterhilft. Ich möchte nicht einen ganzen Haufen von Tools einsetzen, mit denen ich mich ja auch wieder beschäftigen muss, und die Geld kosten (Abo-Modelle), um ein paar kleine Aufgaben lösen zu können. Dann lasse ich es lieber.
Aber was mache ich nun konkret?
Lösungen für mein Second Brain
Im Großen und Ganzen mache ich so weiter wie bisher. Das bedeutet:
Die beste Notiz ist die, die sofort nutzbar gemacht wird. Wenn ich also eine Idee habe, dann steht diese Idee in einem bestimmten Zusammenhang. Das Beste ist nun, wenn diese Idee sofort einen Platz findet. Beispiele: Ich habe Ideen zur hybriden Zusammenarbeit – einige Tipps und Hinweise, die helfen können, eine effektive hybride Zusammenarbeit umzusetzen. Ich habe bereits einen Workshop zur virtuellen Zusammenarbeit fertig entwickelt und reichlich Erfahrungen damit gesammelt. Jetzt nehme ich die Ideen zur hybriden Zusammenarbeit, schreibe diese auf eine PowerPoint Slide, und lade die neue Slide auf das virtuelle Whiteboard für den Workshop. Voilà, das Wisssen steht sofort in nutzbarer Form zur Verfügung, für Moderatoren und für Teilnehmende. Oder ich habe eine Idee für den Ablauf eines Trainings. Dann dokumentiere ich diese Idee im Trainer-Guide. Voilà, das Wissen steht sofort in nutzbarer Form für Trainer zur Verfügung. Oder mir fällt auf, dass die Zielbeschreibung für einen Lernprozess beim Kunden möglicherweise veraltet ist. Dann schreibe ich ein E-Mail mit meinen Beobachtungen und Fragen. Voilà, meine Punkte sind dokumentiert und es geht voran.
Das ist die beste Lösung, aber das geht meistens nicht. Ich habe eine Idee, aber ich habe gerade nicht die Zeit, diese Idee in ein Ziel-Medium einzuarbeiten. Dann muss ich die Idee als Aufgabe oder als Notiz dokumentieren, damit sie nicht verlorengeht.
Für diesen Zweck nutze ich nach wie vor OneNote.
Ich sehe folgende Vorteile von OneNote:
Ich kann Inhalte schnell erfassen, auf allen Geräten, die Inhalte werden synchronisiert (manchmal allerdings mit erheblichem Zeitverzug).
Ich kann eine eigene übersichtliche Struktur anlegen von Notizbücher, Abschnitte, Seiten.
Innerhalb der Seiten (Notizen) kann ich frei formatieren (HTML, nicht Markdown). Freitext, Tabellen, Markierungen, Überschriften usw.
Ich sehe folgende Nachteile von OneNote:
Ich muss entscheiden, wo ich eine Notiz oder Idee ablege. In der Praxis läuft es darauf hinaus, dass ich mehrere Notizen auf einer Seite ablege (während bei andere Tools die Notizen einzeln abgelegt würden, aber verlinkt). Das erfordert Disziplin, und es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Notiz in Abschnitt A ablege, später aber in Abschnitt B suche (wo die Notiz auch passen würde, aber nicht zu finden ist).
Die Verlinkung von Seiten (oder Absätzen) muss händisch erfolgen und ist daher in der Praxis meist zu aufwändig. Die Möglichkeit, über automatische Verlinkungen Beziehungen zwischen Notizen zu erkennen („Serendipity“), ist deutlich weniger gegeben als bei Markdown-basierten Tools.
Ich möchte nicht viele unterschiedliche Tools für unterschiedliche Verarbeitungsschritte, sondern möglichst ein Tool, in dem möglichst viel an Verarbeitungsschritten passiert. Dafür ist OneNote gut geeignet. Zunächst ist es eine kleine Notiz, dann kommen mehr Notizen dazu, es entsteht eine Sammlung zu einem Thema, und mit „Gärtnern“ (ordnen, zuschneiden, weiter entwickeln) wird vielleicht irgendwann ein Seminarmodul oder ein Blogbeitrag daraus.
Insofern ist es nicht unbedingt nachteilig, dass ich entscheiden muss, wo ich eine Notiz ablege. Mit der Erstellung einer Notiz ist bereits ein weiterer Schritt getan, nämlich eine thematische Zuordnung.
Wir sollten nicht vergessen, dass die Frage der Apps zwar wichtig ist, noch wichtiger ist aber der Prozess. Welche Gewohnheiten helfen mir, um produktiv und kreativ zu sein? Welche Prozesse tragen am ehesten dazu bei?
Creative products are always shiny and new; the creative process is ancient and unchanging.
Silvano Arieti
Daher bleibe ich auch dabei, möglichst mit Text zu arbeiten. Nicht mit Video, nicht mit Audio, nur ganz wenige Bilder. Es gibt durchaus gute Video- und Audioquellen (Podcasts), und ich bin mir bewusst, dass es Transskriptions-Tools gibt, aber mit Textinformationen habe ich ein schlankes und durchsuchbares System.
Aus dem Lernprojekt nehme ich auch einige Änderungen mit:
Ich arbeite mehr mit Verlinkungen (die muss ich händisch machen, daher mache ich das nicht oft, aber öfter als früher).
Ein Sonderfall der Verlinkung sind sogenannte Map of Content (MOC) Notizen, damit habe ich so etwas wie ein Inhaltsverzeichnis.
Ich möchte mehr mit Speech-to-text arbeiten (technisch gesehen, funktioniert das mittlerweile gut).
Ich möchte noch mehr in den Prozess gehen (zum Beispiel nach dem CODE Framework von Tiago Forte).
Ja, schon wieder Tiago – der ist quasi Marktführer im Bereich Notetaking.
Es wird auch empfohlen, die Struktur des eigenen Second Brain mit der Ordner-Struktur der eigenen Festplatte (Cloud, PC) in Übereinstimmung zu bringen. Auch wenn ich diesen Ansatz verstehe, habe ich davon Abstand genommen. Ich finde, Kategorien sollten gleich bleiben, aber die Struktur kann meiner Meinung nach unterschiedlich sein.
Nach wie vor gibt es ungelöste Herausforderungen. Zum Beispiel, was ist mit Visuals? Mir gefällt eine geteilte Sketchnote auf Twitter. Was nun? Ich like oder bookmarke, ggf. lade ich die Abbildung aufs Handy herunter. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals darauf zurückkomme, ist sehr sehr gering.
Angesichts der dramatischen Entwicklungen auf dem Markt gibt es aber vielleicht in einigen Jahren praktikable Lösungen. Ich hoffe es!
Andreia Pinto studiert Master of Science in Digital Business. Digitalisierungsnahe Fähigkeiten sind stark gefragt am Markt. Was man und speziell sie mit ihrem Wissen anstellen kann, hat Andreia bei Siemens Healthineers im Bereich Education des Customer Service eindrucksvoll demonstriert.
Dort wurde pandemiebedingt die Weiterbildung an medizinischen Geräten (z. B. Computertomografen) für das Service Personal von Präsenz-Training auf virtuelle und webbasierte Trainings umgestellt.
Andreia hat nun evaluiert, ob und in wie weit die Umstellung der Lernvermittlungsmethode von präsent auf digital einen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheitsbewertung und vor allen Dingen auf die Service Performance beim Kunden von Healthineers hatte.
Was sind – unabhängig von präsent oder virtuell – die Ziele der Weiterbildung an medizinischen Geräten für die Service Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Siemens Healthineers entwickelt, fertigt und vertreibt eine breite Palette innovativer Produkte für die Diagnostik, Bildgebung und Therapie sowie Dienstleistungen für das Gesundheitswesen. Hinzu kommen klinische Beratungsleistungen, die durch Servicepläne und umfangreiche Schulungen ergänzt werden. Durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt der Schwerpunkt darauf, patientenorientierte Innovationen auf den Markt zu bringen, indem die Kunden während des gesamten Versorgungskontinuums unterstützt werden, von der Früherkennung und Prävention über die Diagnose und Behandlung bis hin zur Nachsorge. Für Service Mitarbeiter liegen die wichtigsten Herausforderungen darin, die Kunden gut auszubilden und in jeglichen technik- oder anwendungsbezogenen Fragen bestmöglich zu unterstützen.
In welchem Zeitraum hast du die Daten erhoben, wie hoch war deine Stichprobe und wie bist du methodisch vorgegangen? In dem von COVID-19 betroffenen Zeitraum von 2018 bis Ende 2021 wurden insgesamt ca. 1.300 Onlinefragebögen von Trainingsteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgewertet, 60 statistische Signifikanz-Tests auf Service-Metriken auf Produkt-, Business Line und Business Area Ebene in Deutschland und USA für zwei medizinische Geräte durchgeführt und Service Techniker in einem qualitativen Gruppeninterview befragt.
Die zu untersuchenden, abhängigen Variablen sind einschlägige Servicemetriken und die Zufriedenheit der Service Mitarbeiter mit dem Training selbst.
Welche Ergebnisse hast du gefunden?
Interne Zielvorgaben wurden sowohl für die Zufriedenheit der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer als auch für die Service-Metriken erreicht. Ebenfalls belegen die Schlussfolgerungen aus dem Gruppeninterview, dass die Virtualisierung der Schulungsmethode keinen negativen Einfluss auf die Service Performance beim Endkunden hatte, auch wenn die meisten Teilnehmer ein Training vor Ort bevorzugen würden und sich mutmaßlich besser vorbereitet fühlen würden.
Hinzu waren viele statistische Tests der Service-Metriken signifikant positiv nach der virtuellen Trainingsumstellung. Darüber hinaus wurden in persönlichen Gesprächen mit den Landesverantwortlichen für die untersuchten medizinischen Geräte weitere Herausforderungen aufgedeckt, die für die wenigen signifikant negativen Ergebnisse der Service -Metriken verantwortlich waren und in Zukunft angegangen werden müssen . Diese sind aber keinesfalls auf die virtuelle Trainingsmethode zurückzuführen.
Was ist deine Empfehlung für zukünftige Trainings in diesem Bereich?
Neben den vielen Vorteilen, die die Virtualisierung von Trainings dem Unternehmen bringen kann, wurde vor allem statistisch belegt, dass diese Umstellung sich nicht signifikant negativ auf die Service Performance auswirkt. Deshalb sollte das Unternehmen weiterhin virtuelle Trainings entwickeln und verbessern. Das Feedback aus dem Gruppeninterview sollte berücksichtigt und gegebenenfalls umgesetzt werden, z. B. durch die Ermöglichung praktischer Erfahrungen während virtueller Schulungen oder die Bereitstellung der richtigen Ausrüstung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Welche Grenzen siehst du in den virtuellen Trainings? Wo wird auch in Zukunft noch die Präsenz benötigt?
Komplexe und größere medizinische Geräte erfordern eine praktische Erfahrung und sollten daher vor Ort gelehrt werden, während eine virtuelle Schulung für weniger komplexe medizinische Instrumente ausreichen sollte, wenn die richtige Ausrüstung zur Verfügung gestellt wird, um die praktische Erfahrung zu simulieren.
Vielen Dank, Andreia, für deinen fundierten Einblick in die Digitalisierung der Weiterbildungder Medizintechnik.
„Wir könnten unser Zusammenleben also auch so gestalten, dass unsere Freude am Lernen zeitlebens erhalten bleibt. Unsere Gehirne hätten damit kein Problem. Im Gegenteil! Aber damit das geschieht, müssten wir es auch wollen. Das ist unser Problem. Denn wollen kann eine Person so etwas nur, wenn sie sich als Subjekt, als aktiver, lernfähiger und selbstverantwortlicher Gestalter ihres Zusammenlebens mit allen anderen Lebewesen versteht.“
Gerald Hüther, Neurobiologe und Autor, in wb-web, 17. Januar 2022
Kristina Loncar hat im Rahmen eines dualen Studiums bei der Siemens AG ihr Magisterstudium in Management Business Development abgeschlossen. Dabei konnte sie miterleben, wie rasant sich die Weiterbildung im Unternehmen durch die digitale Transformation ändert. Der Trend geht in Richtung Virtualisierung und Individualisierung der Weiterbildungsangebote.
Vor dem Hintergrund der neuen Arbeitskultur New Work/Next Work und dem lebenslangen Lernen ist die Grundvoraussetzung für die Vermittlung neuen Wissens und neuer Kompetenzen eine Optimierung der Lernprozesse in der betrieblichen Weiterbildung. Für ihrer Magisterarbeit hat sie die Virtualisierung von verhaltensorientierten Führungskräftetrainings begleitet.
Welche Fragestellungen bist du in deiner Masterarbeit konkret nachgekommen?
Leitend für meine Arbeit waren unter anderen zwei Fragestellungen:
Wie sieht das Lernkonzept eines virtuellen verhaltensorientierten Führungskräftetrainings aus der konstruktivistischen Perspektive bei der Siemens AG aus?
Welches Verhalten kann online trainiert bzw. umgesetzt werden und wie?
Betrachten wir die erste Fragestellung, was meint hier konstruktivistische Perspektive?
Die Lernenden konstruieren und erfinden ihre Wirklichkeit in der Interaktion mit anderen durch Ausprobieren und Selbstreflexion. Die Voraussetzung von gelingendem Lernen ist, dass sie offen an ihre Wirklichkeit herangehen und die Fähigkeit haben, diese zu hinterfragen und nicht als einzig geltende Wahrheit sehen. Dann können neue Einstellungen und Handlungskompetenzen aufgebaut werden.
Wie wurde diese konstruktivistische Perspektive bei dem Design von verhaltensorientierten Führungskräftetrainings genutzt?
Da die Lernenden ihre Wirklichkeit konstruieren, wollten wir so nah wie möglich die Lernsituationen an ihren realen Herausforderungen in ihrem Arbeitsleben ausrichten. So haben wir Situationen identifiziert, mit denen Führungskräfte häufig konfrontiert sind. Beispielsweise haben wir eine Situation beschrieben, in denen die Leistung eines Mitarbeiters signifikant schlechter geworden ist. Um die Echtheit der Situation zu stärken, haben wir Schauspieler eingesetzt, die den Mitarbeiter gespielt haben.
Darüber hinaus haben wir den kommunikativen Austausch in Gruppen im Lerndesign verankert. Damit wird die Selbsterarbeitung der Lerninhalte und auch die eigene Konstruktion von Wissen und Können der Lernenden unterstützt.
Wie bist du deiner zweiten Fragestellung, welches Verhalten online trainiert werden kann, nachgekommen?
Wir haben drei Kriterien aus dem Führungsleitbild näher analysiert: Respekt, Motivieren und Inspirieren sowie Empowerment und Vertrauen. Diese Kriterien haben wir in Verhaltensanker übersetzt und daraus Beobachtungsbogen erstellt. Ein Verhaltensanker bei dem Kriterium Respekt zum Beispiel ist „Honest and transparent about the good and the bad and addresses it“.
Nun haben wir die Kriterien in Rollenspielen eingeübt, d. h. Lernende haben die Möglichkeit im Ausprobieren ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Anschließend haben wir hierzu Selbsteinschätzungen der Führungskräfte sowie Fremdeinschätzungen von Feedbackgeberinnen und Feedbackgeber eingeholt und mit Hilfe des 4-Ebenen Modell von Kirkpatrick evaluiert.
Welche Ergebnisse hast du gefunden?
Die Auswertung zeigt, dass Verhaltensweisen, die der Kompetenz Respekt einzuordnen sind, am erfolgreichsten in der Praxis umgesetzt wurden. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden haben dabei eine hohe Ausprägung gezeigt. Die Verhaltensweisen in Bezug auf Respekt können bewusster gesteuert werden und der Effekt auf das positive oder negative Verhalten ist unmittelbar zu beobachten.
Bei der Umsetzung der Verhaltensweisen die der Kompetenz Motivieren und Inspirieren zuzuordnen sind, hat die Hälfte der Teilnehmenden eine moderate Ausprägung gezeigt. Diese Verhaltensweisen werden sehr individuell in der Praxis umgesetzt und entsprechend auch wahrgenommen.
Die geringste Ausprägung der Verhaltensanker wurde bei der der Kompetenz Empowerment und Vertrauen beobachtet. Bei weniger als der Hälfte der Teilnehmenden fehlten wesentliche Elemente. Empowerment und Vertrauen erfordern sozioemotionale Prozesse, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Diese sind ebenso stark durch die individuellen Lebenserfahrungen der Teilnehmenden geprägt. Ein Vertrauensaufbau findet grundsätzlich durch eine direkte persönliche Interaktion statt. Somit ist durch eine rein virtuelle Kommunikation der Vertrauensaufbau erschwert.
Du beschreibst in deiner Arbeit die veränderte Rolle von Lehrenden bzw. Learning Specialists. Im Fokus stehe nicht mehr die Vermittlung der Lerninhalte. Wie sehen hier die Veränderungen aus?
Die klassische Rolle, dass Lehrende lediglich Wissen vortragen, wird es so nicht mehr geben. Vielmehr müssen die Lehrenden viel stärker moderieren und unterschiedlichste Rollen einnehmen. Sie müssen Lernziele setzen, Lernfelder und Umfeld verstehen, coachen und gleichzeitig mehr wissen.
Konstruktivistisch argumentiert müssen die Lehrenden Lernumgebungen so gestalten, dass die Lernenden eigenständig das Wissen bzw. die neuen Verhaltensweisen konstruktivistisch erarbeiten können. Eine reine Wissensvermittlung wäre in dieser Terminologie lediglich eine Rekonstruktion.
Was empfiehlst du denen, die verhaltensorientierte Führungskräftetrainings virtualisieren möchten?
Auf Basis der Literatur und der gewonnenen Erkenntnisse wurden folgende Verbesserungsmöglichkeiten für virtuelle verhaltensorientierte Führungskräftetrainings erarbeitet:
Detaillierte Vorbereitung und Strukturiertheit
Kürzung und Fokussierung der Inhalte
Mehr Zeit für Austausch ermöglichen, da die Kommunikation und die direkte Ansprache noch wichtiger als in Präsenztrainings sind
Fokus auf Beziehungsdidaktik (Beziehung Lehrende/ Teilnehmende; Beziehung Teilnehmende / Teilnehmergruppe)
Klare Formulierung der Erwartungshaltung an die Teilnehmenden
Das virtuelle Format hat neben vielen Möglichkeiten wie digitale Interaktion, Flexibilität und Zeitersparnis auch einige Einschränkungen, vor allem in Bezug auf den Beziehungsaufbau, der für die Entwicklung sozialer Kompetenzen von großer Bedeutung ist.
Um ein ganzheitliches Lernerfolg zu gewährleisten, sollte für das virtuelle verhaltensorientierte Training ein hybrides Konzept in Betracht gezogen werden. So würde man die Vorteile des Virtuellen und des Präsenten optimal verbinden. Blended Learning oder integriertes Lernen ermöglicht den Mix verschiedener Lernformen und -methoden, um den individuellen Bedürfnissen der Lernenden gerecht zu werden und erhöht die Akzeptanz des Einsatzes neuer Medien.
Die Transaktionsanalyse (TA) hilft, kommunikative Muster zu verstehen. Sie bietet ein psychologisches Erklärungsmodell, lässt eine neue Haltung finden und vermittelt handlungsleitende Hinweise zur Gestaltung der Kommunikation. In meinen Trainings haben wir Elemente der Transaktionsanalyse hergenommen, um zum Beispiel Führungsverhalten zu verbessern oder kompetenter mit Konflikten umzugehen. Heute freue ich mich, über die Transaktionsanalyse in Organisationen mit jemand zu sprechen, der sich in seiner Arbeit als Trainer ganz auf die Transaktionsanalyse fokussiert: Steffen Raebricht.
Steffen, welche Bedeutung kann die TA für die Kommunikation in Organisationen haben?
Transaktionsanalyse (TA) ist ein System, mit dem die Persönlichkeit von Menschen, deren Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen analysiert, vorhergesagt und verändert (entwickelt) werden können.
Durch das Analysieren von Gesprächen kann man Muster erkennen, die zum Beispiel zu immer wiederkehrenden Konflikten führen. Solche Muster können Ausdruck von Verhaltensweisen sein, die uns langfristig schaden. Die Tendenz zu neuen Arbeitsaufgaben nicht nein sagen zu können, kann beispielsweise langfristig zu einem Burnout beitragen. Die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen kommunizieren, kann große Auswirkungen haben.
Die Transaktionsanalyse hilft, diese Muster zu verändern, indem sie uns neue Verhaltensweisen bietet: Zum Beispiel kann man Kollegen, die sich hilflos geben, durch Rückfragen dazu anregen, ins Handeln zu kommen. Man kann raumgreifenden Mitarbeitern Grenzen setzen. Man kann Missverständnisse reduzieren. Man kann Führung auf Augenhöhe gestalten. Man kann auch an seinen eigenen Verhaltensweisen arbeiten und zum Beispiel das Nein sagen lernen.
Insofern kann TA helfen, die Kommunikation in Organisationen zu verbessern und die Produktivität zu steigern.
Bei einer Umfrage gaben 99 der 100 befragten Führungskräfte an, dass ihre kommunikative Kompetenz durch Transaktionsanalyse gestärkt wurde.
In welchen Situationen hilft die TA? Was sind häufige problematische Transaktionsmuster in Organisationen?
Transaktionsanalyse kann in ziemlich allen Situationen hilfreich sein, die wir als problematisch empfinden oder die wir entwickeln wollen. Mit ihren mentalen Landkarten (Konzepte) macht sie die Prozesse sichtbar und gibt Ideen, was man konkret tun könnte.
Das reicht vom Auflösen von Blockaden bei einem Mitarbeiter, über die die Lösung von Konflikten zwischen Kollegen bis hin zum Vorgesetzten, der klarer Kommunizieren möchte.
Die häufigsten problematischen Transaktionsmuster in Organisationen sind:
Ungeklärte Verantwortlichkeiten bei Aufgaben, die Missverständnisse, Fehler und Irrtümer zur Folge haben können.
Überverantworliche Mitarbeitende, die sich aufreiben und schlimmstenfalls im Burnout enden.
Unterverantwortliche Mitarbeitende, die sich hilflos machen oder “dumm” stellen und eine zusätzliche Belastung für Kollegen bedeuten können.
Vorgesetzte, die ihre Funktionen nicht wahrnehmen und damit die Produktivität hemmen.
Das Zusammenkommen dieser drei Typen und daraus entstehende Beziehungsprobleme mit negativen Folgen für die Produktivität der Organisation und das Betriebsklima.
Ein sehr wichtiges Element sehe ich in der transaktionsanalytischen Haltung, Mitmenschen auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Haltung ermöglicht, Situation in neuem Licht zu betrachten. Statt einen sich hilflos stellenden Kollegen als Nichtsnutz abzuwerten, könnte man überlegen: “Welchen Beitrag kann ich dazu leisten, dass der Kollege seine Arbeit erledigt?”
Das heißt nicht, dass man jetzt der Therapeut des Kollegen wird oder seine Arbeit für ihn erledigt. Es könnte eher bedeuten, dass man auf die Verantwortlichkeit des Kollegen setzt, ggf. Unterstützung anbietet oder ihn unter vorheriger Ankündigung nicht mehr aus einem Schlamassel zieht.
Ein anderes wichtiges Element sehe ich in den Konzepten der Transaktionsanalyse.
Eines zum Beispiel wird “Vertragsarbeit” genannt. Das klingt etwas trocken und nach seitenlangen Dokumenten mit kleiner Schrift, die keiner liest.
Tatsächlich geht es bei Vertragsarbeit aber um gelungene und tragfähige Absprachen: In welcher Situation sollte ich Absprachen treffen? Wenn alle im Mittagstief sind oder doch eher, wenn die Energie hoch ist? Jeder weiß inzwischen: Die Kommunikation entsteht beim Empfangenden. “Wie kann ich sicherstellen, dass ich richtig verstanden wurde?” Was tue ich, wenn trotz klarer Absprache das Ergebnis nicht geliefert wird? Das Vertragskonzept der Transaktionsanalyse hält tolle Methoden bereit, Transparenz in die gemeinsame Arbeit zu bringen.
Transaktionsanalyse beruht auf Augenhöhe.
Du warst Offizier bei der Bundeswehr. Wurde die TA bei der Bundeswehr an Offiziere vermittelt?
Transaktionsanalyse war kein Bestandteil der Offiziersausbildung bei der Bundeswehr. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es ihr gut getan hätte.
Transaktionsanalyse beruht auf Augenhöhe. Davon ist eine Organisation wie die Bundeswehr weit entfernt. Ihre Strukturen mit Dienstgraden, dem soldatischen Gruß und militärischen Abzeichen zielt bewusst auf die Herstellung von “oben und unten” ab.
Das hat Vorteile: Zum Beispiel gibt die Hierarchie den Dienenden viel Orientierung über ihre Stellung, Verpflichtungen und Freiheiten.
Aus diesem Fakt ergeben sich auch die Probleme dieser Organisation. Einige wenige übernehmen das Denken für viele. Der uns angeborene Gestaltungswille wird durch Vorschriften, Vorgesetzte und starre Strukturen ausgebremst.
Menschen, die etwas bewegen wollen, gehen nicht zur Bundeswehr. Denn dort machst du eben nicht, was zählt. 90% deiner Zeit bist du mit Dingen beschäftigt, wie warten, Machtspielchen spielen oder Anträge schreiben.
Transaktionsanalyse hat mir jedoch als Einzelperson in diesem System geholfen. Ich konnte mich erfolgreich gegen Willkür ausübende Vorgesetzte wehren. Ich habe meine Soldaten zum selbst denken angeregt. Ich habe verstanden, dass man in diesem System weiterkommt, wenn man sich anpasst. TA hat mir dabei geholfen mich selbst zu klären. Deswegen habe ich mich entschlossen, die Bundeswehr zu verlassen und den Mut aufzubringen, mich selbstständig zu machen.
Wie gelingt Kommunikation auf Augenhöhe?
Kommunikation auf Augenhöhe fängt mit Selbstreflexion an.
Zunächst kann ich mir die Frage stellen, in welchen Situationen ich nicht auf Augenhöhe kommuniziere. Das hat oftmals etwas mit dem Selbst- und Menschenbild zu tun. Die TA hat dafür das Konzept der “Lebensgrundpositionen”. Es zeigt auf, wie ich mich in einer Situation betrachte. Bin ich okay und finde mein gegenüber vielleicht nicht okay? Oder umgekehrt? Oder sehe ich mich und die andere Person als okay? Dann hätten wir zumindest von meiner Seite bereits Augenhöhe erreicht.
Wenn ich feststelle, dass keine Augenhöhe besteht, weil ich mich selbst oder die andere Person als nicht okay oder sogar uns beide als nicht okay betrachte, kann ich nach Ursachen suchen.
Das können einfache Umstände sein, beispielsweise weil du hungrig bist oder weil du kurz vorher eine schlechte Nachricht erhalten hast. Das können jedoch auch tiefer liegende Ursachen sein, wie beispielsweise Glaubenssätze: “Wer Gefühle zeigt, ist ein Schwächling.” oder “Mein Kollege ist zehn Jahre älter. Dem bin ich doch total unterlegen.”
An solchen Stellen kann ein Hinterfragen zweckmäßig werden. Durch eine Erweiterung der Perspektiven mit Hilfe von TA-Modellen kann Augenhöhe hergestellt werden.
Jedoch ist man im Kommunikationsprozess nicht allein dafür verantwortlich. Gerade hatte ich ein Interessentengespräch mit einer jungen Frau für ein Praktikum bei mir im Unternehmen. Sie war sehr verunsichert. Ich achtete darauf, keine Zeichen von Dominanz zu senden. Wir setzten uns über Eck, ich saß auf einem Hocker, ich stellte interessierte Fragen, alberte ein wenig. Alles Einladungen, um auf Augenhöhe zu kommen.
Sie blieb jedoch kindlich, verunsichert in ihrer ganzen Erscheinung. Da kann ich dann auch nichts machen. Genauso kann es sein, wenn ein Querdenker einem Reporter die Kamera wegschlägt. In solchen Situationen kommt man nicht auf Augenhöhe, weil die andere Seite es nicht möchte.
Wir können also nicht steuern, was unser Gegenüber tut. Wir können lediglich schauen, dass wir wenig bewerten, viele Fragen stellen und die Beziehungsebene verstärken.
Aber: Sollte die junge Frau ihr Praktikum bei mir beginnen, kann es sein, dass sie schneller ihr kreatives Potenzial entfaltet, weil ich konstant weiter Angebote auf Augenhöhe mache. Ich frage nach ihrer Meinung, gebe Gestaltungsspielräume, reagiere gelassen auf Fehler usw.
Meine Mitarbeitenden zeigen ein hohes Maß an Selbstständigkeit. Sie bringen eigene Vorschläge, recherchieren und bilden sich selbstständig weiter, teilen mir mit – was sie für eine gute Arbeit benötigen und arbeiten gern mit mir. Mitunter führen sie mich, wenn sie auf einem Gebiet besser sind als ich. Das nenne ich Augenhöhe.
Wie kann man TA in einem virtuellen Live Training lernen? Was machst du da konkret, bzw. was macht ihr da konkret?
Wenn ich Weiterbildungen durchführe, bekommen die Teilnehmenden Zugriff zu Vorab-Sessions. In diesen finden sie Lernvideos, die die theoretischen Grundlagen legen.
Wenn wir uns dann live treffen, klären wir zunächst Fragen zur Theorie. Anschließend erhalten die Teilnehmenden eine Übung, die in Kleingruppen virtuell und live bearbeitet wird. Häufig sind das Übungen zum Erkennen und zum Umgang mit bestimmten Interaktionsmustern. Zum Beispiel, wie man mit zweideutigen Aussagen von Kollegen umgehen kann. Nach der Übung wird reflektiert, wie die gesammelten Erfahrungen der Übung auf die Praxis übertragen werden können.
In diesen Diskussionen werden dann meistens noch einmal die Möglichkeiten und die Grenzen des jeweiligen Konzepts deutlich gemacht. Viele Teilnehmende haben dann bereits eine Idee, in welchen Situationen sie das verwenden können.
TA- Konzepte machen relevante Dinge im Wirrwarr der Kommunikation sichtbar und besprechbar, die wir sonst nicht adressieren und damit nicht verändern könnten.
TA- Konzepte machen relevante Dinge im Wirrwarr der Kommunikation sichtbar und besprechbar, die wir sonst nicht adressieren und damit nicht verändern könnten. Das sehe ich als eine große Stärke der TA. Diese Stärke können Menschen nutzen, die die Kommunikationsgepflogenheiten ihrer Organisation weiterentwickeln möchten.
Das waren viele interessante Einblicke zur Transaktionsanalyse in Organisationen. Vielen Dank, Steffen!
Also Gabi, welche expliziten Möglichkeiten nutzt du, um Beziehungen im virtuellen Raumaufzubauen?
Die Tools bieten unzählige Möglichkeiten für den expliziten Beziehungsaufbau. Lass uns das strukturieren.
Ok, wie nutzt du Video und Mikro?
In einer E-Mail vor Beginn des Seminars, manchmal in einem vorgeschalteten Kick-Off, bitte ich die Teilnehmer, sich einen Raum zu suchen, in dem sie sich bei angeschaltetem Video wohlfühlen und wo sie frei und offen sprechen können. Bei meinen Zooms sind Mikrophone und Video der Teilnehmer beim Eintritt angeschaltet. Dies steht symbolsprachlich dafür, dass die Mitwirkung erwünscht ist.
Wie nutzt du Annotate und Share?
Bei Zoom nutze ich sehr viel die Annotate Funktion, die es den Teilnehmern ermöglicht anonym oder namentlich Ideen schriftlich, gleichzeitig einzubringen. Ebenso nutze ich die Möglichkeit, dass Teilnehmer Unterlagen und den Bildschirm zu teilen. Symbolsprachlich unterstützt das die symmetrische Kommunikation.
Und die Breakout Rooms?
In kleineren Gruppen ist es leichter, offen zu sprechen. Sich zu zeigen, ist eine Grundvoraussetzung für den Aufbau natürlicher Beziehungen. Deshalb baue ich viele Möglichkeiten ein an Themen in Breakout Rooms zu arbeiten. Hier ergeben sich auch wertvolle Gelegenheiten für die informelle Kommunikation.
Was machst du neben dem Nutzen der Features noch für den Beziehungsaufbau im virtuellen Raum?
Das sind die vier Punkte „den Anfang gestalten“, „Orientierung geben“, „Teilnehmer-Impulse statt Trainer-Impulse“ und die „Meta-Ebene nutzen“
Beginnen wir mit „den Anfang gestalten“, was machst du da?
Wie im Präsenzseminar nehme ich mir am Anfang etwas Zeit über Ziele zu sprechen und darüber, wie wir sie erreichen wollen. Dabei betone ich, dass für mich ein gutes Seminar eines ist, bei dem wir alle voneinander lernen. Dadurch signalisiere ich meinen Wunsch nach symmetrischer Beziehungsgestaltung und begründe damit, dass die Teilnehmer einander gegenseitig ihre Ziele bezüglich des Seminars mitteilen. Auf diese Weise können wir an den Themen von allen arbeiten und sie immer wieder aufgreifen. Dies fördert die Offenheit und damit den Beziehungsaufbau zwischen den Teilnehmern.
Was bedeutet „Teilnehmer-Impulse statt Trainer-Impulse“?
Neben offenen Reflexionen und Diskussionen nutze ich auch Übungen, die im Präsenzseminar z. B. reihum stattfinden würden. Virtuell lasse ich z. B. den jeweiligen Teilnehmer bestimmen, wer weitermachen soll. Ich nutze hier auch die Möglichkeit, die Teilnehmer selbst wählen zu lassen, in welchen Breakout Room sie gehen wollen.
Beim Aufbau von natürlichen Beziehungen geht es ja nicht darum, dass jeder extravertiert und „people-oriented“ sein muss, sondern dass man so, wie man ist und je nach dem, was man braucht, mit einander Kontakt aufnimmt.
Was machst du bei „Orientierung geben“?
Wenn wir darüber sprechen, wie wir im Seminar vorgehen wollen, mache ich klar, dass es z. B. auch völlig in Ordnung ist, wenn jemand sagt, dass er eine Übung nicht machen möchte, oder ihm etwas zu persönlich ist. Beim Aufbau von natürlichen Beziehungen geht es ja nicht darum, dass jeder extravertiert und „people-oriented“ sein muss, sondern dass man so, wie man ist und je nach dem, was man braucht, mit einander Kontakt aufnimmt. Manchmal bitte ich auch um Übernahme von Rollen. Zum Beispiel frage ich: „Gibt es hier jemanden, der / die eher ungeduldig ist?“ Dann bitte ich darum, offen zu äußern, wenn das Gefühl da ist, wir sollten schneller machen. Ebenso verfahre ich mit „Fokus und Struktur“ und „Atmosphäre“. Ich mache deutlich, dass es sich bei diesen Rollen nicht um Verantwortung (die liegt bei uns allen) sondern um Aufmerksamkeit auf diese Punkte handelt. Wir betrachten und steuern so unsere Kommunikation gemeinsam und können leichter Phänomene oder Störungen auf der Meta-Ebene ansprechen.
Genau, was verstehst du unter „Meta-Ebene nutzen“?
Ich stelle auch während des Seminars immer wieder auf der Meta-Ebene den Bezug zu persönlicher Kommunikation her. „Wie leicht, oder wie schwer ist es, hier in dieser Runde, etwas Kritisches zu sagen oder offen anzusprechen)?“, „Woran liegt das?“ So können wir Gruppenphänomene und virtuelle Hürden thematisieren, erkennen und leichter überwinden.
Vielen Dank, Gabi für deinen tollen Antworten.
Gabriele Beitinger und ich haben uns im Mai 2020 virtuell kennengelernt und entwickeln unsere Arbeitsbeziehung seitdem über Zoom, MS Teams und Mobiltelefon stetig weiter. Mittlerweile haben wir uns mit anderem zu dem Team Angels & Charlies formiert.